Der Zauber eines fruehen Morgens
nicht?«
Belle schüttelte den Kopf. »Nicht ein einziges Mal. Ich war überzeugt, mit uns würde alles wieder in Ordnung kommen, wenn das klappen würde. Aber er wollte nicht. Er wurde sogar böse, wenn ich etwas in der Richtung unternahm. Irgendwann gab ich einfach auf. Doch ich habe ihn trotzdem geliebt, Vera. Was ich für ihn empfunden habe, wurde von meinen Gefühlen für Etienne nicht berührt. Bevor Jimmy starb, sagte er, wie leid es ihm tue, und damit meinte er, dass er mich abgewiesen hat, das weiß ich.«
»Seltsam, dass Etienne ihn gerettet hat!«, bemerkte Vera nachdenklich. »Er wusste, wer Jimmy war, und hat ihm trotzdem das Leben gerettet. Wahrscheinlich hat er geahnt, dass er dir nie wieder in die Augen schauen kann, wenn er ihn einfach seinem Schicksal überlässt.«
»Mag sein. Die Ironie daran ist, dass Jimmy wünschte, er wäre nicht gerettet worden. Ich habe mich oft gefragt, was ich empfunden hätte, wenn er damals gestorben und ich für Etienne frei gewesen wäre. Vielleicht ist es ganz gut, dass es nicht so gekommen ist.«
Vera streckte ihre Hand aus und wischte Belle eine Träne von der Wange. »Ich lasse nicht zu, dass du dich weiterhin in Schuldgefühlen suhlst, Belle. Du hast dich Jimmy gegenüber richtig verhalten. Niemand hätte mehr tun können. Also, was soll’s? Der Krieg ist bald zu Ende. Du kannst ein neues Kapitel im Buch deines Lebens aufschlagen, und du musst gut aufpassen, dass du bei allem, was du machst, an dich denkst, nicht an andere.«
»Ein alter Freund hat mir mehr oder weniger das Gleiche geraten. Mog verkauft das Railway Inn , weil wir es nicht führen können. Sie hätte ohnehin gern eine Teestube.«
»Hier in Blackheath?«
»Nein, wir wollen so bald wie möglich wegziehen, doch wir wissen noch nicht, wohin.«
»Warum nicht nach Neuseeland?«
Belle lachte. »Sei nicht albern! Das geht doch nicht.«
»Warum nicht? Es wäre ein richtig neuer Anfang, und es ist ein wunderschönes weites Land mit unglaublich vielen Möglichkeiten. Wir sprechen Englisch, und die meisten von uns sind britischer Herkunft. Du wärst begeistert. Ich könnte euch beide im Handumdrehen unter die Haube bringen.«
Belle zog eine Augenbraue hoch. »Und warum bist du dann selbst noch unverheiratet?«
»Ich war auf etwas anderes aus – Abenteuer! Aber nach allem, was ich in Frankreich gesehen habe, wäre ich glücklich und zufrieden mit dem, was meine Mutter hat: mit einem netten Mann, Kindern, innerem Frieden und guten Freunden.«
»Neuseeland klingt wirklich sehr verlockend«, gab Belle zu. »Bei meiner Rückkehr nach London habe ich oft von all den Dingen geträumt, die du mir erzählt hast – von der Sonne, dem türkisblauen Meer, davon, mit dem Boot aufs Meer zu fahren und zu fischen … In Brighton war das Meer grau und sehr kalt.«
»Meine Eltern würden euch beide bestimmt gern aufnehmen,bis ihr eine eigene Bleibe gefunden habt«, sagte Vera. »Mog könnte in Russell eine Teestube eröffnen, du könntest wieder Hüte anfertigen oder eine Fremdenpension aufmachen. Meine Mutter jammert schon die ganze Zeit, weil es bei uns keinen Kurzwarenladen gibt. Wenn wir Frauen Stoffe oder Knöpfe brauchen, müssen wir die Sachen in Auckland bestellen und darauf warten, dass sie mit dem Dampfer gebracht werden.«
»Mog möchte bestimmt nicht ans andere Ende der Welt ziehen.«
»Ich wette, sie möchte doch. Sie ist ziemlich abenteuerlustig.«
Belle kicherte. »Für Mog ist es schon abenteuerlich, ein neues Rezept auszuprobieren.«
»Ich glaube, sie könnte dich überraschen. Nach allem, was ich heute gesehen habe, würde ich sagen, dass sie zu so ziemlich allem bereit ist, vorausgesetzt, du bist bei ihr. Was hält euch denn hier in England noch?«
Belle dachte einen Moment nach, aber ihr fiel auf Anhieb nichts ein. Sie hatte eine Mutter, doch es würde ihr keine schlaflosen Nächte bereiten, wenn sie Annie nie wiedersah. Die einzigen echten Freunde, die sie hatte, waren Noah und Lisette, aber die beiden hatten ihre Familie und ihr eigenes Leben. Die Vorstellung, an einen Ort zu gehen, wo ihre Vergangenheit nie wieder zur Sprache kommen würde, war sehr verlockend für Belle.
»Du willst es doch, oder?«, schmeichelte Vera.
»Vielleicht«, sagte Belle vorsichtig.
Sie wechselten das Thema und redeten über das Lazarett in Frankreich. Belle wollte wissen, wie es den Leuten ging, mit denen sie dort Freundschaft geschlossen hatte.
»Captain Taylor ist an der Grippe gestorben«, erzählte
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