Der Zauber eines fruehen Morgens
und dazu ein buntes Gemisch an Informationen beisteuerten, hatte Belle das Gefühl, dass Jimmy bei ihr war und sie drängte, die Vergangenheit ruhen zu lassen und eine brandneue Zukunft zu planen.
Sie legte ihre Hand in Mogs und lächelte die Ältere an. »Sollen wir nachher nach Seven Dials gehen und uns endgültig verabschieden?«
Mog drückte ihre Finger und nickte zustimmend.
Als sie im neuen und sehr imposanten Lyons Corner Haus saßen, brachte Belle das Thema Neuseeland zur Sprache. Alle drei Frauen waren müde, weil sie kilometerweit gelaufen waren und so viel gesehen hatten. Aber es war der letzte Anlaufpunkt, der sie alle am stärksten beeindruckt hatte: Seven Dials und der Ram’s Head , Garths alter Pub, in derselben Straße, in der sich Annies Bordell befunden hatte und Belle geboren worden war.
Vera kannte einen Großteil der Geschichte: wie das Bordell abgebrannt war und Garth Mog und Annie aufgenommen hatte. Aber nach der Pracht und dem Prunk der Paläste und königlichen Parkanlagen und der Westminster Abbey die engen, schmutzigen Gassen, die Armut und das Elend von Seven Dials zu sehen, hatte sie ziemlich schockiert.
Bei Belle und Mog erwachten tausend und mehr Erinnerungen, gute wie schlechte, als sie auf der anderen Straßenseite des Ram’s Head standen und registrierten, wie klein und schäbig die Schenke aussah. Der Anblick ließ sie beide jäh erkennen, wie weit sie es gebracht und wie sehr sie sich seit damals verändert hatten.
In Eingängen lungerten Prostituierte herum, und überall entdeckten sie Hinweise darauf, dass es genauso viele, wenn nicht mehr Bordelle als zu ihrer Zeit gab. Die zerlumpten Kinder, die Passanten um ein paar Münzen anbettelten, waren ebenso da wiedie räudigen Köter, die alten Knacker, die ihr Pfeifchen schmauchten, und die Betrunkenen, die auf den Straßen herumtorkelten.
Sie hielten sich nicht lange auf, sondern blieben nur kurz vor dem Ram’s Head stehen. Mog vergoss ein paar Tränen und erzählte, wie Garth sie zum ersten Mal geküsst und ihr seine Liebe gestanden hatte. Als sie durch Covent Garden gingen, dachte Belle an den siebzehnjährigen Jimmy, der ihre Hand hielt, während sie über die vereisten Straßen liefen und schlitterten, und daran, wie schön es gewesen war, einen echten Freund zu finden.
Und er war der beste aller Freunde gewesen. Wenn er nicht so beharrlich nach ihr gesucht hätte, wäre sie wahrscheinlich in Paris gestorben. Und sein Onkel und er hatten auch Mog geliebt und gut für sie gesorgt.
Wenigstens konnte sie ehrlich behaupten, dass sie bis zum Schluss Freunde gewesen waren und er in ihrem Herzen immer einen besonderen Platz einnehmen würde. Doch jetzt musste sie aufhören, sich zu quälen, indem sie sich fragte, wie es hätte sein können und was sie hätte anders machen sollen. Nun war es Zeit, ein neues Leben anzufangen.
Alle drei waren sehr gespannt auf das Lyons Corner House auf der Strand. Es war von Liptons, der Teefirma, eröffnet worden, verfügte über mehrere Stockwerke und war ungemein modern und elegant. Im Erdgeschoss wurden Schokolade, Kuchen, Kekse und Blumen verkauft; in den oberen Stockwerken befanden sich Restaurants, die jeweils in einem eigenen Stil eingerichtet waren.
Sie gingen in ein Lokal im ersten Stock, das an eine Teestube erinnerte und wo auch spezielle Eissorten angeboten wurden. Die Kellnerin servierte ihnen Tee und brachte eine zweistöckige Porzellanetagere mit appetitlich belegten Brötchen, süßem Weck und einer Auswahl kleiner Kuchenstücke.
»Vera findet, dass wir nach Neuseeland ziehen sollten«, sagte Belle ohne Umschweife. »Was hältst du davon, Mog?«
Mog, die gerade Tee einschenkte, war so überrascht, dass sie die erste Tasse zu voll goss. »Ich weiß nicht. Wie denkst du darüber?«
»Mir gefällt die Idee«, antwortete Belle. Sie griff nach der übervollen Tasse, trank ein wenig Tee ab und goss das, was in die Untertasse geschwappt war, zurück. Im Lyons Corner House herrschte viel Betrieb. Ein Mann im Frack spielte Klavier und schuf eine freundliche Atmosphäre, und unter den Gästen waren zahlreiche Männer in Uniform mit ihren Frauen oder Freundinnen. »Alles, was Vera dir gestern erzählt hat, hat dir gefallen. Du könntest dort eine Teestube eröffnen oder eine Kurzwarenhandlung, alles, woran Bedarf herrscht. Vera sagt, dass wir bei ihren Eltern wohnen können, bis wir eine eigene Bleibe gefunden haben.«
»Wahrscheinlich bekommt ihr als Auswanderer sogar finanzielle
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