Der Zauber eines fruehen Morgens
Flutwelle von Verwundeten. Ein Offizier hatte gesagt, dass seiner Meinung nach an jenem ersten Tag der Schlacht an der Somme über achtzehntausend Soldaten getötet und dreißigtausend weitere verwundet worden waren. Belle wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass Jimmy an der Schlacht teilgenommen hatte, doch sie befürchtete es, weil er ihr vor einer Weile geschrieben hatte, dass sie an einen anderen Ort verlegt worden seien. Deshalb wappnete sie sich, bis sein Brief eintraf, jeden Tag für das gefürchtete Telegramm.
Sie war froh, dass Jimmy nur verwundet war, aber auch voller Sorge um ihn. Viele der verwundeten Soldaten, die sie sah, standen unter Schock und litten an furchtbaren Albträumen. An den Bemerkungen, die sie wie nebenbei fallen ließen, erriet Belle, dass sie an jenem Tag in Frankreich in der Hölle gewesen waren.
Jimmy kam in der letzten Juliwoche nach Hause. Sein Arm hing in einer Schlinge, und die Haut in seinem Gesicht schälte sich, doch sein Lächeln war so strahlend wie eh und je.
»Mach bloß kein Theater!«, sagte er, als sie geschäftig hin und her eilte und versuchte, ihm alles Mögliche abzunehmen, und anbot, ihm sein Essen klein zu schneiden und ihm beim Ausziehen zu helfen. »Mir geht’s gut. Ich war noch nie so froh, dich zu sehen und wieder zu Hause zu sein. Aber ich bin bald wieder einsatzbereit.«
Verglichen mit vielen anderen Patienten im Lazarett, hatte er Glück gehabt. Die Wunde war sauber geblieben und verheilte gut. Er wies darauf hin, dass die Schlinge ihn nur daran hindern sollte, seinen Arm zu belasten; seine Finger funktionierten allesamt gut, was er sofort demonstrierte, indem er auf dem Klavier in der Bar eine kleine Melodie klimperte. »Aber ich glaube, ich behalte die Armschlinge auch wegen der anderen«, sagte er verschmitzt. »Es gefällt mir, wie ein Held behandelt zu werden.«
Zwanzig Monate waren vergangen, seit er sich gemeldet hatte, und in dieser ersten Nacht daheim war er so leidenschaftlich, als würde er nie wieder Gelegenheit haben, mit Belle zu schlafen. »Allein dafür hat es sich gelohnt, verwundet zu werden«, meinte er. »Im Lazarett konnte ich an nichts anderes denken; die Schwestern haben mich ständig gefragt, warum ich dauernd grinse.«
Ein, zwei Tage später gab er zu, wie erleichtert er gewesen war, als man ihm Heimaturlaub zugestanden hatte. Er hatte nicht damit gerechnet; Wunden wie seine wurden normalerweise zusammengeflickt, und dann ging es wieder an die Front. Er glaubte, dass sich sein befehlshabender Offizier für ihn eingesetzt hatte.
So schön es war, Jimmy zu Hause zu haben, der Gedanke, dass er an die Front zurückmusste, erfüllte Belle mit Angst. Sie konnte seine Überzeugung, dass diese Verwundung sein Schicksal war und ihm von jetzt an nichts mehr passieren würde, nicht teilen. Jedes Mal, wenn sie seine Wunde wusch und frisch verband, fragte sie sich, was Frauen empfinden mussten, die ein Telegramm mit der Nachricht vom Tod ihres Ehemanns erhielten.
Selbst in den köstlichen Nachtstunden, die sie miteinander verbrachten, war sie hin- und hergerissen zwischen der Angst vor demAbschied und Schuldgefühlen, weil sie auch ohne ihn gut zurechtgekommen war.
Wenn Mog vor Jimmy prahlte, wie sehr man Belle im Krankenhaus schätzte, und Garth hinzufügte, wie voll und ganz er und Mog sich auf sie verlassen könnten, klang es, als wäre sie ein Ausbund an Tugend. Kaum zu glauben, dass Mog, die einmal so sehr gegen Belles neue Tätigkeit und ihre Freundin Miranda gewesen war, eine komplette Kehrtwendung gemacht hatte und Belle sogar darin bestärkte, ihre dienstfreien Tage mit Miranda zu verbringen. Erst vor wenigen Wochen waren die beiden auf ihren Rädern über Land gefahren, bis Eltham und weiter, und an vielen Abenden gingen sie zusammen ins Konzert oder ins Theater.
Nun, da Jimmy so knapp davongekommen und bei ihr zu Hause war, schwankte Belle zwischen der Rolle der perfekten Ehefrau und Hausfrau und der Verwirklichung ihres Traumes. Sie wollte immer noch mit Miranda nach Frankreich gehen. Sie hatten sich zweimal als Rettungsfahrerinnen beworben und waren beide Male abgelehnt worden. Nur weil man der Meinung sei, dass sie noch nicht genug Erfahrung hatten, meinte Miranda und bestand darauf, es später noch einmal zu versuchen.
Das Wetter war gut, und Belle gelang es, ein paar Tage freizubekommen, damit Jimmy und sie ein bisschen Zeit miteinander verbringen konnten. Sie machten ein Picknick im Greenwich Park und saßen unter
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