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Der Zauber eines fruehen Morgens

Der Zauber eines fruehen Morgens

Titel: Der Zauber eines fruehen Morgens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lesley Pearse
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musste, der im Krankenhaus arbeitete.
    Das vergangene Jahr hatte allen Menschen in England viel abverlangt. Bei Kriegsbeginn hatte man sich noch von der allgemeinen Begeisterung und der Woge von Patriotismus mitreißen lassen. Aber als der Krieg nicht so schnell aufhörte, wie alle geglaubt hatten, und die Listen der Gefallenen immer länger wurden, das Grauen der Luftangriffe und die Lebensmittelknappheit hinzukamen, machten sich Zweifel und Erschöpfung in der Bevölkerung bemerkbar.
    Einige Veränderungen hatte der Krieg mit sich gebracht, die Belle begrüßte. Junge Frauen genossen mehr Freiheit als früher und konnten in Berufen arbeiten, die vor fünf Jahren als undenkbar für eine Frau gegolten hatten. Es gab Bus- und Taxifahrerinnen, weibliche Postangestellte und Frauen, die in Munitionsfabriken und in der Landwirtschaft arbeiteten. Anstandsdamen waren ein Relikt aus vergangenen Zeiten geworden; da so viele junge Männer in Frankreich waren, wurden sie für überflüssig gehalten.
    Belle musste oft über die empörten Leserbriefe würdiger Matronen lächeln, die sich über den Niedergang der Moral ereiferten. Sie behaupteten, die jungen Frauen verhielten sich unbedacht, wenn sie zum Tanzen ausgingen, nach Einbruch der Dunkelheit mit Männern in Uniform unterwegs waren und in Kneipen einkehrten. All das traf zu, und Belle fand es mehr als verständlich, dass junge Leute jede Gelegenheit, sich zu amüsieren, beim Schopfpackten, wenn sie befürchten mussten, dass jeden Moment der Tod drohen konnte. Abgesehen davon, dass sie Jimmy vermisste und Angst um ihn hatte, war das vergangene Jahr für Belle ein gutes Jahr gewesen. Die Melancholie, die auf den Tod ihres Babys gefolgt war, war verschwunden; geblieben war eine vage Trauer, mit der sie leben musste. Sie hatte ihre enge Freundschaft mit Miranda, und Mog und Garth akzeptierten ihre Arbeit im Lazarett inzwischen nicht nur, sondern waren stolz auf sie. Mog sagte zwar manchmal, sie hoffe, dass Belle nach dem Krieg wieder als Modistin arbeiten würde, hielt es aber für richtig, dass sie sich für die Arbeit im Krankenhaus gemeldet hatte.
    Es war harte Arbeit, und es gab vom Dienstantritt am Morgen bis sechs Uhr am Abend, wenn Belle Schluss hatte, keine Atempause. Jeder Tag brachte einen stetigen Strom Verwundeter mit sich, auch wenn es nie mehr so viele waren wie nach der Schlacht an der Somme im vergangenen Juli.
    Im letzten Jahr hatte Belle Verwundungen gesehen, die so grauenhaft waren, dass sie nicht fassen konnte, wie viel der menschliche Körper zu erdulden imstande war – der Verlust des Augenlichts, abgerissene Arme und Beine, entsetzliche Verbrennungen und Bauchwunden. Die Gesichts- und Kopfwunden fand sie am schlimmsten. Männer auf Krücken oder im Rollstuhl wurden wie Helden gefeiert und ernteten von allen Seiten Respekt und Bewunderung. Aber bei Menschen, die furchtbar entstellt waren, wandten die Leute den Blick ab, und manchmal fiel es sogar ihren eigenen Verwandten schwer, damit umzugehen.
    Die ungeheuer hohen Verluste des Jahres 1916 waren der Grund, warum Miranda und Belle schließlich doch als Fahrerinnen akzeptiert wurden. Der furchtbare Stellungskrieg in Verdun hatte siebenundachtzigtausend gefallene Franzosen zur Folge, und in der Schlacht an der Somme, die bis November dauerte, waren in den alliierten Truppen über vierhunderttausend Tote zu verzeichnen. Daraufhin musste das Rote Kreuz umdenken, zumal Amerika in den Krieg eintrat und viele der amerikanischen Rettungsfahrersich zur Armee meldeten. Mit den deutschen U-Booten, die seit Februar gnadenlos Jagd auf Schiffe machten, und der erst kürzlich begonnenen Schlacht um Arras und immer höheren Verlusten konnten die zuständigen Behörden über jede Hilfe froh sein, die ihnen angeboten wurde.
    Beide Mädchen bekamen glänzende Referenzen von den Krankenschwestern und der Oberschwester und konnten noch dazu Auto fahren. Aber Belles Ansicht nach war es etwas anderes, was wirklich zu ihren Gunsten entschied: die Tatsache, dass sie beide ein wenig Französisch sprachen, und ihre Entschlossenheit, die sie unter Beweis gestellt hatten, indem sie sich immer wieder aufs Neue bewarben.
    Die Oberschwester, die kaum jemals eine erfahrene Schwester, geschweige denn eine unbedeutende Freiwillige lobte, hatte Belle überrascht. »Ich habe Sie zuerst für ein albernes junges Ding gehalten«, sagte sie und fixierte Belle mit ihren scharfen Augen, denen nichts entging. »Aber Sie haben sich als

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