Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
Knirschen löste sie sich. Er stürzte und schlug mit Knie und Kopf auf. Dreck spritzte in die Luft, während er zurückrutschte – direkt in das Dornendickicht.
Schließlich wurde sein Körper angehalten. Er lag keuchend auf dem Rücken und starrte hinauf in ein tödliches Gewirr. Zackige Spitzen bohrten sich ihm in die Haut, zerstachen ihm die Arme und zerrten an seinen Kleidern. Ein monströser stachliger Dorn, so groß wie eine Dolchklinge, war direkt über seinem Gesicht und zielte auf sein Auge.
Er brauchte alle Willenskraft, um nicht aufzuschreien, denn damit hätte er seinen Verfolgern verraten, wo er lag. Es war schlimm genug, dass er zerstochen, zerschürft und so fest umklammert war, dass er sich kaum bewegen konnte. Und kaum atmen.
Gerade da hörte er, wie die geflügelten Männer sich denHang heraufkämpften. Sie hatten das Dornendickicht erreicht! Nach ihrem Schnaufen und Fluchen waren sie nicht sehr erfreut über ihre Lage – oder die ihrer Beute. Tamwyn hielt den Atem an und beobachtete sie aus den Augenwinkeln.
»Beim Geist des Barden Helvin, wo ist er?«
»Vielleicht in eine Grube gefallen.«
»Nein, gerade war er hier, sag ich euch! Ich habe ihn so klar gesehen wie –«
»Die Nacht. Vielleicht war er ein Geist.«
»Schau! Würde ein Geist das tragen?«
Zu Tamwyns Entsetzen hob ein Verfolger sein Umschlagtuch auf. Es musste ihm beim Sturz hinuntergefallen sein, gerade bevor er in die Büsche zurückgerutscht war! Der Mann hielt es hoch und suchte den Hang nach einer Spur des Trägers ab. Seine Gefährten taten es ihm nach, ihre zerfetzten Flügel öffneten und schlossen sich dabei. Einer von ihnen schaute ihm direkt in die Augen, davon war Tamwyn überzeugt.
Schließlich warf der Mann das Tuch zur Seite. »Bah! Wenn er in eine Grube gefallen ist, wäre seine Geschichte zu Ende. Genau das, was er verdient, behaupte ich.«
»Stimmt. Man kann es ein frühes Opfer nennen.«
»Bist du sicher, dass du ihn wirklich gesehen hast? Das Bier könnte Schuld daran gewesen sein.«
»Ich habe ihn gesehen, kein Zweifel! Aber ein bisschen mehr Bier würde jetzt schmecken.«
»Und wie gut!«
Damit wandte sich das Trio zum Gehen. Sie stapften denHang hinunter, ihre heiseren Stimmen verklangen in der Nacht.
Tamwyn seufzte erleichtert. Er war geflohen! Jetzt musste er sich nur noch aus diesem Dornenlabyrinth winden, ohne sich in Stücke zu reißen.
Langsam, vorsichtig drehte er sich auf die rechte Seite. Er wollte sich gerade zusammenkrümmen – da sah er etwas Erstaunliches. Er erstarrte. Dann blinzelte er und überzeugte sich, dass er nicht fantasierte.
Aber nein, es war da! Um einen Zweig gewickelt, der tief in dem Dornendickicht steckte. Unmöglich zu sehen, außer aus diesem Winkel.
Mistel
. Die kleinen glänzenden Blätter schimmerten selbst in diesem schwachen Licht wie poliertes Gold.
Tamwyn drehte sich und streckte einen Arm so weit aus, wie es nur ging. Da! Er legte die Finger um den goldenen Zweig und zog ihn sacht aus den Dornen. Dann, ohne sich um die zusätzlichen Stiche und Kratzer auf Arm, Schulter und Hals zu kümmern, holte er ihn zu sich heran. Und wand sich aus dem Dickicht.
Da saß er, blutverschmiert, aber unaussprechlich froh. Licht vom Dach der Höhle beleuchtete schwach seinen Körper – und die Kostbarkeit in seinen Händen. Lange betrachtete er bewundernd die Blätter, die er sich um den Unterarm gelegt hatte. Schließlich nickte er.
Er wusste genau, was er mit diesem strahlenden Zweig tun würde.
***
Tamwyn brauchte mehr als zwei Stunden, bis er den Hang wieder hinuntergestiegen war, Kopf und Beutel vom Umhängetuch bedeckt. Einen großen Teil der Zeit verbrachte er reglos in dunkle Ecken des Dorfs geduckt, weil er den umherziehenden Sängergruppen aus dem Weg gehen wollte. Und den Betrunkenen. Sicher war er Dutzende Male gestolpert.
Dann stand er endlich am Ziel – direkt vor Gwirions bescheidenem Heim.
Er wartete, bis kein Vorübergehender mehr zu sehen war und niemand im Schatten lauerte. Dann trat er so leise wie das Licht im Morgengrauen an die Tür. Vorsichtig entfernte er ein Bündel getrockneter Kräuter von einem Haken. An dessen Stelle hängte er den Kranz, zu dem er den Mistelzweig geschlungen hatte.
Ein goldener Kranz. Genau wie Mananaun prophezeit hatte, würden nun diese Dorfbewohner – alle, die vom einst großartigen Volk der Feuerengel übrig waren – einen neuen Anführer haben.
Einen neuen Anfang. Und vielleicht ein neues
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