Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
Nuada Ildana aus kannst du tatsächlich die Äste sehen! Und möglicherweise sogar zu ihnen steigen. Und weiter – zu den Sternen!«
Er holte tief Luft. »Noch etwas solltest du wissen. Das war auch der Weg, den dein Vater genommen hat.«
Gerade als er aufhörte zu sprechen, rief jemand, der an der Hütte vorbeiging, eine Reihe wütender Kraftausdrücke. Tamwyn verstand die Worte nicht, aber das Gefühl, mit dem sie ausgestoßen wurden, war unverkennbar.
Gwirion drückte ihm mit seiner starken Hand, so warm wie eine Kohle im Feuer, die Schulter. »Bevor du gehst, habe ich noch ein Geschenk für dich.«
»Du hast mir schon genug geschenkt.«
»Nein, nicht einmal annähernd.«
Er raschelte mit den Flügeln, als er zu seinem Regal mit den Farbtöpfen ging und die kleine braune Schachtel nahm, die dort gestanden hatte. Er öffnete sie, schob ein paar funkelnde Holzstückchen zur Seite – rotes Zedernholz, schwarzes Ebenholz, silbergrüne Weidensplitter und andere – und holte eine Phiole heraus, nicht größer als die Quarzglocke an Tamwyns Hüfte. Das Fläschlein war aus Eisenholz geschnitzt und sah unzerbrechlich aus.
Gwirion hielt es sich ans Ohr und schüttelte es. »Noch da«, sagte er. Dann kam er zurück und legte es Tamwyn in die Hand.
»Gib gut Acht darauf«, flüsterte er. »Es enthält einen einzigen Tropfen einer kostbaren Flüssigkeit, die wir
Dagdas Tau
nennen. Meines Vaters Vater, einer der Letzten unseres Volkes, der noch fliegen konnte, brachte es von einer Reise mit.«
Er schaute zu Frau und Schwester hinüber, die nacheinander nickten, dann sah er Tamwyn an. »Es heißt, dass ein einziger Tropfen von Dagdas Tau auf deiner Stirn dir ein seltenes Sehvermögen verleiht.«
Tamwyn drückte die Phiole in seiner Hand. »Welcher Art?«
»Eine lange Sichtweite – über große Entfernungen hinweg.« Gwirion schaute ihn hoffnungsvoll an. »Sie hält nur eine Zeit lang an, falls die Kräfte des Taus nicht nachgelassen haben. Aber Dagdas Tau könnte dir auf dem Weg zu den Sternen nützlich sein.«
Sie wandten die Blicke nicht voneinander. Es war, als verlaufe zwischen ihnen eine klare Lichtlinie, die sich durch die rauchige Luft im Raum und die weitaus größere Kluft zwischen zwei sehr unterschiedlichen Völkern spannte. Endlich sagte Tamwyn: »Danke, Gwirion.«
»Gern geschehen, mein Freund. Möge deine Geschichte lang und ruhmvoll sein! Jetzt
. . .
versuch einfach, diese Nacht zu überleben.«
»Und du den morgigen Tag.«
Tamwyn hinkte hinüber zu seinem Bündel und schob diePhiole tief hinein. Er hörte die Pergamentrolle seines Vaters knistern und das stärkte seine Entschlossenheit. Dann packte er den Riemen mit den Zahnspuren und hängte sich das Bündel um. Mit der Hilfe Tulchinnes verhüllte er Kopf und Bündel mit dem Umhängetuch. Er nahm seinen Stab und stolperte hinüber zur Tür.
Mit einem letzten Blick auf seine Freunde schlüpfte er hinaus in die Nacht.
28
Flammentod
I n das schwere Umhängetuch gehüllt trat Tamwyn aus Gwirions Tür. Schon nach wenigen Schritten sah er trotz der Dunkelheit besser – er erkannte deutlich zwei Männer, die auf der anderen Seite eines unbefestigten Wegs standen. Missgelaunt betrachteten sie ihn mit einem finsteren Ausdruck auf den rauen Gesichtern. Dann zuckten sie zu seiner Erleichterung die Achseln und widmeten sich wieder ihrer Mahlzeit, Streifen aus getrocknetem Fleisch. Tamwyn zog den Schal höher, damit sein Kopf und das lange Haar völlig bedeckt waren. Und dann ging er so schnell wie möglich davon und wagte nicht zurückzuschauen.
Obwohl das Dorf im Schatten lag, konnte er die Umrisse anderer Fliesenhütten ebenso erkennen wie einige größere Gebäude, die vielleicht Ställe, Wirtshäuser und Handelsgeschäfte waren. Weitere unbefestigte Wege verbanden in ungleichmäßigen Linien diese Häuser. Und durch die ganze Siedlung verteilt ragten große Stalagmiten auf wie zylindrische Bäume, etwa zwanzig- oder dreißigmal so groß wie er.
Tamwyn schaute hinauf zur Höhlendecke, die so weit entfernt war, dass sie wie ein roh behauener Himmel wirkte. Aber dieser Himmel hatte keine Sterne. Wie die riesigenStalagmiten leuchtete er mit der schwachgrünen Helligkeit von Élano.
Er dachte an das, was Gwirion über dieses Élanolicht gesagt hatte – dass es bei Nacht schwächer und beim Morgengrauen wieder stärker wurde.
Genau wie die Sterne
, überlegte er. Lag das am großen Baum und seinen geheimnisvollen Élanoströmen oder hing es mit den
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