Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
Schwappen des Wassers um ihn her; der einzige Geruch war das kräftige nektarsüße Aroma von nassem Holz und feuchter Luft. Weil Élano im Wasser war, leuchtete der Fluss milchweiß mit gelegentlichen grünen Funken – ein Band aus Licht und Flüssigkeit tief im Baum.
Immer höher wurde er getragen, viele Meilen vertikaler Entfernung legte er zurück. Häufig sah er, wie ein Nebenfluss in seinen Fluss strömte und ein Bach sich abspaltete und tief ins Kernholz drang. Überall erspähte er Simse und Seitentunnel, die erkundet werden wollten. Durch welche anderen unbekannten Reiche wurde er getragen? Welchen anderen, fremden Völkern war er nah? Er wusste nur, dass die Antwort jenseits seiner Vorstellungskraft lag.
Zweierlei fiel ihm am Fluss auf. Erstens schien er allmählich schmäler zu werden, er verengte sich, während er sich höher in den Stamm arbeitete. Und zweitens schien das warme Wasser Tamwyns Wunden zu heilen. Jetzt konnte er die Beine mühelos beugen, die Knie sogar bis an die Brust ziehen. Seine Aufschürfungen und Prellungen waren verschwunden, seine Kraft war zurückgekehrt. Und weder Hüfte noch Rücken schmerzten jetzt, zum ersten Mal seit vielen Tagen tat ihm nichts weh.
Aber wieso? Vielleicht war es die Wärme des Wassers oder die sanfte Massage der kleinen Wellen auf seinem Körper. Oder vielleicht konnte wie beim Heilwasser, das Elli in ihrer Flasche hatte, das Élano in diesem Fluss Fleisch und Knochen durch seine eigene mächtige Magie wiederherstellen.
Immer höher stieg Tamwyn, Stunde um Stunde – möglicherweise Tag um Tag, er hatte keine Ahnung. Durch den Élanogehalt des Wassers gestärkt, spürte er weder Hunger noch Durst, auch kein Bedürfnis nach Schlaf. Er ritt einfach auf der steigenden Kaskade.
Hinauf, hinauf trug ihn der Fluss. Entfernung war ohneMaß, Zeit ohne Bedeutung. Die einzigen Gewissheiten waren das Wasser und der Baum.
Endlich verengte sich der Fluss so, dass Tamwyn fühlte, wie sich die Bewegung verlangsamte. Ziemlich bald würde die Strömung nicht mehr stark genug sein, ihn höher zu tragen. Immer langsamer kam er voran, bis er fast anhielt. Obwohl ein Teil von ihm höchst ungern diese wunderbare Wasserstraße verließ, wusste er, dass die Zeit dafür gekommen war, und er fing an, sich nach einem Ausstieg umzuschauen.
Direkt vor sich erspähte er ein schmales Sims mit dichtem, üppig grünem Moos. Es stellte offensichtlich die Verbindung her zu einer Art Tunnel, der in den Stamm führte. Tamwyn rollte sich herum und streckte die Hand aus.
Er konnte das Sims nicht richtig fassen, doch er zog sich auf das Moos. Wasser rann von ihm herunter wie von einem Stück Rinde, das seit Ewigkeiten im Nassen trieb. Mehrere Minuten lang lag er auf dem Rücken und horchte auf das Platschen und Gurgeln des Flusses, der ihn getragen hatte – so hoch, so weit.
Endlich stützte er sich auf Hände und Knie und betrachtete den Tunnel genauer. Die Decke war ziemlich niedrig, er würde also kriechen müssen. Aber die Röhre schien wenigstens horizontal zu sein, sie verlief senkrecht zum Fluss. Tamwyn schaute noch einmal hinter sich aufs Wasser. Er fühlte sich körperlich so gut wie schon lange nicht mehr – seit er Hallias Gipfel verlassen hatte –, und jetzt kroch er in den Tunnel.
Der Durchgang war niedrig, doch ohne Hindernisse. Ober einst von einem Bach ausgehöhlt, von Termiten gebohrt oder durch das Wirken von Élano entstanden war, konnte Tamwyn nicht feststellen. Das Holz um ihn herum leuchtete schwach, die feinen Unterschiede in Struktur, Farbe und Maserung waren zu erkennen. Immer wieder sah er winzige Kristalle, violett, rosa, schwarz, golden und weiß, die aus den Wänden wuchsen. Und in den Ritzen des Holzes fand er samtiges Moos, Flechtenflocken und einmal die kleinsten Blätterpilze, die er je gesehen hatte; in einer Reihe marschierten sie hintereinander die Wand hinauf wie eine Gruppe winziger Wanderer.
Während er sich immer weiter vom Fluss entfernte, fiel ihm die Stille auf. Nur von seinem eigenen Atmen, dem gelegentlichen Schlag seines Stabs gegen die Tunnelwand und dem fernen Flüstern des Wassers durchbrochen, schien die Stille anzuschwellen, als wäre sie in Wahrheit eine andere Art Geräusch. Wie schon manchmal an ruhigen Bergabenden ahnte er die einfache Schönheit und das Gewicht der Stille. Es war kein Fehlen, sondern eine Anwesenheit; keine Absage, sondern eine Einladung. Eine Aufforderung, endlich sich selbst zu lauschen, völlig zur Welt zu
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