Der Zauber Von Avalon 02 - Im Schatten der Lichtertore
schaute direkt Elli an. »Und deshalb habe ich Hanwan gegenüber trotz deinesgleichen – die ihr mit jedem Atemzug die besondere Rolle der Menschen verhöhnt – darauf bestanden, dass vor Beginn der großen Schlacht Gnade herrschen muss. Allen Verteidigern der alten Ordnung wird die Möglichkeit gegeben, sich zu unterwerfen. Ihre Waffen niederzulegen und Hand in Hand mit den Menschen in eine strahlende neue Zukunft zu gehen.«
»Oder zu sterben«, rief Brionna empört.
Llynia seufzte mit ehrlichem Bedauern. »Wenn nötig. Hanwan und ich hoffen sehr, dass es dazu nicht kommen wird.« Sie kratzte sich nachdenklich den dunklen Fleck an ihrem Kinn. »Aber wenn das nötig ist, um unsere Welt neu zu schaffen, dann muss es eben sein.«
Die Gefangenen tauschten Blicke – teils entrüstet, teils traurig, teils hilflos. Gerade als Llynia weiterreden wollte, kam ihr Nuic bissig zuvor.
»Glückwunsch, Frau Grünbart. Im Handumdrehen bist du zur Tyrannin der Gnome, zur Verbündeten der Gobsken und – obwohl du das nicht einsehen willst – zur Dienerin von Rhita Gawr geworden. Dazu gehört ein seltenes Talent.«
Selbst im milchigen Licht des Tempels leuchteten Llynias Wangen jetzt so rot wie ein reifer Apfel. Doch bevor sie antworten konnte, stellte Elli eine Frage.
»Wo ist dein Maryth, Fairlyn? Sie hat dich immer geliebt, dich mit ihren eigenen Ästen beschützt und deine Tage mit wunderbaren Düften gefüllt. Wo ist sie jetzt?«
Zum ersten Mal seit der Ankunft der Gefährten wurde Llynias Blick unsicher. Die Veränderung war kaum wahrzunehmen, doch Elli bemerkte sie und nahm an, dass Llynia verletzt war – nicht nur durch ihre Worte, sondern durch einen tieferen Verlust.
»Sie hat dich verlassen, nicht wahr?« Elli hob die Stimme und sagte nachdrücklich: »Sie konnte einfach nicht ertragen, was aus dir geworden ist.«
Jetzt hatte Llynia wieder ihren zornigen Blick. »Gnome«, rief sie, »schafft sie weg! Sofort!«
33
Die geheime Treppe
D ass er noch einmal ungesehen durch Gwirions Dorf schleichen musste, war für Tamwyn in dieser Nacht nicht die größte Herausforderung. Ebenso wenig die Klettertour zurück auf den Berg, bei der er Dornenbüschen und heimtückischen Gruben auszuweichen hatte, oder das Missachten des pulsierenden Schmerzes in seinen Wunden.
Nein, nachdem er den Stalagmiten gefunden hatte, der den Eingang zur geheimen Treppe markierte, war es für ihn am schwierigsten, die eigene Erregung zu beherrschen. Wenigstens so weit, dass er aufmerksam seine Umgebung wahrnehmen konnte. Denn die allererste Regel für einen Reisenden in der Wildnis hieß, wie er nur zu gut wusste,
Aufmerksamkeit ist alles.
Aber wie sollte er sich anders fühlen als zum Feiern aufgelegt? Zwar hatte er nicht den besonderen Kompass gefunden, den er sich als Führer durch die oberen Bereiche Avalons gewünscht hatte – aber er hatte zumindest eine allgemeine Vorstellung von seiner Position im Stamm des großen Baums. Und noch besser, er wusste, wohin er ging: die Treppe hinauf, die in jenem Wandgemälde im Tunnel wie ein silbriges Band ausgesehen hatte. Und Gwirionhatte versprochen, dass ihn diese Treppe zu der Stelle führen würde, die Fenster zu den Sternen genannt wurde.
Merlins Astloch, der Ort, von dem aus er tatsächlich die Zweige sehen konnte und darüber hinaus. Wo er vielleicht seinen Weg zu den Sternen fand.
Hoffentlich rechtzeitig, um sie wieder anzuzünden!
Entschlossen kniff er die Augen zusammen.
Und diese Gestalten, diese Schatten daran zu hindern, in Avalon einzudringen.
Als er die Hand auf den schwarzen Stalagmiten legte, den Gwirion beschrieben hatte, spürte er noch eine andere Art Erregung – sie stieg tief aus seinem Inneren, wie Élano im Inneren des großen Baums.
Das ist der Weg meines Vaters.
Jetzt musste er nur noch den Stalagmiten zur Seite schieben und die Treppe betreten. Und dann, wie Gwirion ihm geraten hatte, so hoch steigen wie nur möglich.
Er zuckte ein wenig zusammen wegen des ständigen Schmerzes in seiner verletzten Hüfte, ganz zu schweigen von Rücken, Knie, Arm und vielen anderen Stellen. Es würde nicht leicht sein, Stufen zu steigen! Und schon gar nicht Stufen, die Hunderte von Meilen hochgingen. Tausende vielleicht. Denn diese Treppe führte bis hinauf zum Astloch direkt unter den Zweigen des Baums.
Zur besonderen Stärkung zog er die Lederflasche hervor. Gierig trank er einen Schluck des süßen Wassers, dann noch einen, und spürte, wie dessen Kraft durch seinen ganzen
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