Der Zauber von Avalon 03 - Die ewige Flamme
anderes konnte ihm helfen, wenn er bedachte, wie weit er kommen musste und wie wenig ihm Zeit blieb. Cryll Onnawesch hatte Palimyst den Fluss genannt: die Naht im Himmelszelt. Wenn er wirklich die beiden Hälften der Zeit teilte – während er immer zwischen den Sternen floss, doch nie den gegenwärtigen Augenblick verließ –, dann bot er Tamwyn tatsächlich eine Chance, die Sterne zu erreichen, bevor es zu spät war.
Doch wie sollte er in den Fluss steigen? Merlin hatte es getan, und ohne die Hilfe seines legendären Drachen Basilgarrad. Aber das war ein kleiner Trost. Merlin war schließlich
Merlin
– der größte Magier aller Zeiten.
Und doch … Ich habe auch sein Blut in meinen Adern. Genau wie ich das Blut von Krystallus habe.
Tamwyn blieb stehen, während sich feuchte Nebelfetzen auf sein Gesicht legten. Aus seinem Beutel holte er eine Glaskugel, die mit einem Lederband umwunden war – den Kompass seines Vaters. Winzige Nebelwellen liefen über die Oberfläche der Kugel, doch Tamwyn konnte trotzdem hineinschauen. Der horizontale Pfeil zeigte wie immer nach Westen, während der vertikale Pfeil direkt über seinen Kopf deutete. Zu den Sternen.
Er erinnerte sich, dass Krystallus seine eigene Theoriedarüber hatte, wie man zu den Sternen stieg. Ob sie etwas mit dem Zeitenfluss zu tun hatte, wusste niemand. Klar war nur, dass eine Art Pferd damit verbunden war, ein
großes Pferd in der Höh.
Tamwyn nickte und sagte sich das Rätsel aus dem Brief von Krystallus auf, der in der großen Kernholzhalle versteckt gewesen war:
Willst du zu den Sternen steigen,
Willst du durch die Lüfte springen,
Muss dir erst ein Fund gelingen:
Das große Pferd in der Höh.
Was bedeutete das? Und hatte es etwas zu tun mit Rhita Gawrs Prahlerei, Avalon werde fallen,
wenn das große Pferd stirbt
? Die Prahlerei des Kriegsherrn bezog sich, wie Tamwyn jetzt verstand, auf das Sternbild Pegasus und den stets pulsierenden Stern in seiner Mitte. Aber ein Sternbild konnte ihn nicht in den Himmel tragen! War mehr an diesem Rätsel und am großen Pferd, als er erraten hatte? Er verzog das Gesicht, es war ermüdend, so viele Fragen und so wenige Antworten zu haben.
Er verstaute den Kompass und setzte seinen Weg fort. Der Pfad zog sich in Spiralen höher und führte ihn weiter bergauf. Er ahnte nicht im Geringsten, wie hoch er schon gestiegen war. Der Nebel verbarg alles – selbst, so schien es, seine Fußabdrücke.
Genau wie er die Sterne verbarg.
Auch Rhita Gawr verbarg die Sterne
, überlegte er.
Aber auf
ganz andere Weise.
Er erinnerte sich an den furchtbaren Anblick der unsterblichen Krieger, die aus den verdunkelten Eingängen der Sterne drangen – den sieben Sternen der Zauberstabkonstellation.
Selbst wenn ich rechtzeitig hinauf zu den Sternen komme, wie werde ich sie dann wieder anzünden? Und diese Tore schließen?
Er stieß einen langen Seufzer aus und zerteilte damit den Nebel. Die Lösung des Rätsels von Krystallus schien leicht im Vergleich zur Lösung der Frage, wie er das tun sollte. Er hatte nicht die Kraft, etwas so Kleines wie die Fackel seines Vaters anzuzünden – und schon gar nicht etwas so Großes wie einen Stern. Das ging weit über die Fähigkeiten eines Führers durch die Wildnis.
Gewiss, ich bin von Merlins Blut. Aber ich bin auch ein tollpatschiger Dummkopf. Und zugleich das dunkle Kind, der Zerstörer Avalons.
Ein kalter Nebelklumpen glitt über seine Nase.
Am meisten wünsche ich mir, Merlin wäre hier. Gerade jetzt. Er würde wissen, was ich tun soll!
Aber Merlin war nicht hier. Je weiter Tamwyn den grasigen Pfad hinaufstieg und das Geräusch seiner Schritte vom Nebel verstärkt wurde, umso sicherer war er sich da. Und doch musste er sich fragen, warum Merlin in dieser Welt, Erde genannt, blieb, wenn Avalon – die Welt zwischen allem Vergänglichen und Unvergänglichen, die Welt, die Merlin selbst als Samen gepflanzt hatte – so grässlicher Gefahr ausgesetzt war.
Sie müssen auf der Erde eigene ernste Probleme haben,
folgerte Tamwyn. Und dann überlegte er: Welcher Sternmochte es gewesen sein, durch dessen Tor Merlin zur Erde fuhr?
Fast unmerklich ging der Pfad in eine ebene Strecke über. Zuerst wollte Tamwyn es nicht glauben, weil er diesen Berg ohne irgendwelche Anzeichen der Veränderung hinaufgestiegen war. Aber nein, seine Füße belogen ihn nicht. Der Pfad wurde zweifellos eben.
Abrupt mündete der Weg in eine flache Wiese mit dem gleichen kurzen Gras. Konnte das
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