Der Zauberberg
Conférence zu hören, als Joachim davon zurückkehrte und, bevor er in die Mittagsliegekur ging, bei ihm vorsprach. Joachim zeigte sich mundfaul und abgeneigt, über den Vortrag zu berichten, – wie ja auch von dem vorigen weiter nicht zwischen den beiden die Rede gewesen war. Aber Hans Castorp bestand darauf, Einzelheiten zu hören. »Ich liege hier und zahle den vollen Preis«, sagte er. »Ich will auch etwas haben von dem, was geboten wird.« Er erinnerte sich an den Montag vor vierzehn Tagen, an seinen selbständigen Spaziergang, der ihm so wenig gut getan, und gab der bestimmten Vermutung Ausdruck, daß er es eigentlich gewesen sei, der revolutionierend auf seinen Körper gewirkt und die still vorhandene Krankheit zum Ausbruch gebracht habe. »Aber wie die Leute hier reden,« rief er; »das niedere Volk, – so würdig und feierlich: es klingt zuweilen wie Poesie. ›Nun, so leb’ wohl und hab’ Dank!‹« wiederholte er, indem er die Sprechweise des Holzknechtes nachahmte. »So habe ich es im Walde gehört, und ich vergesse es meiner Lebtage nicht. Dergleichen verbin {286} det sich dann mit anderen Eindrücken oder Erinnerungen, weißt du, und man behält es bis an sein Lebensende im Ohr. – Und Krokowski hat also wieder von ›Liebe‹ gesprochen?« fragte er und schnitt ein Gesicht bei dem Wort.
»Selbstredend«, sagte Joachim. »Wovon denn sonst. Es ist ja nun einmal sein Thema.«
»Was sagte er denn heute davon?«
»Ach, nichts Besonderes. Du weißt ja selbst, vom vorigen Mal, wie er sich ausdrückt.«
»Aber was gab er denn Neues zum besten?«
»Nichts weiter Neues … Ja, es war die reine Chemie, was er heute verzapfte«, ließ Joachim sich widerstrebend herbei, zu berichten. Es handele sich »dabei« um eine Art von Vergiftung, von Selbstvergiftung des Organismus, habe Dr. Krokowski gesagt, die so entstehe, daß ein noch unbekannter, im Körper verbreiteter Stoff Zersetzung erfahre; und die Produkte dieser Zersetzung wirkten berauschend auf gewisse Rückenmarkszentren ein, nicht anders, als wie es sich bei der gewohnheitsmäßigen Einführung von fremden Giftstoffen, Morphin oder Kokain, verhalte.
»Und dann kriegt man heitere Bäckchen!« sagte Hans Castorp. »Sieh an, das ist ja hörenswert. Was der nicht alles weiß –. Er hat es mit Löffeln gegessen. Warte nur, eines Tages entdeckt er dir noch den unbekannten Stoff, der im ganzen Körper verbreitet ist, und stellt die löslichen Gifte her, die berauschend aufs Zentrum wirken, dann kann er die Leute auf eine besondere Weise beschwipsen. Vielleicht war man früher schon einmal so weit. Wenn man ihn hört, so könnte man denken, daß etwas Wahres ist an den Geschichten von Liebestränken und solchem Zeug, wovon in den Sagenbüchern die Rede ist … Gehst du schon?«
»Ja,« sagte Joachim, »ich muß unbedingt noch etwas liegen. Ich habe ansteigende Kurve seit gestern. Die Sache mit dir hat mir doch etwas zugesetzt.« –
{287} Das war der Sonntag, der Montag. Aus Abend und Morgen wurde der dritte Tag von Hans Castorps Aufenthalt in der »Remise«, ein Wochentag ohne Auszeichnung, der Dienstag. Es war aber der Tag seiner Ankunft hier oben, er war nun rund drei Wochen an diesem Ort, und so trieb es ihn doch, den Brief nach Hause zu schreiben und seine Onkel wenigstens obenhin und für den Augenblick über den Stand der Dinge zu unterrichten. Sein Plumeau im Rücken, schrieb er auf einem Briefbogen der Anstalt, daß seine Abreise von hier sich planwidrig verzögere. Er liege mit einer fieberigen Erkältung, die von Hofrat Behrens, übergewissenhaft, wie er wohl sei, offenbar nicht ganz auf die leichte Achsel genommen werde, da er sie mit seiner, des Schreibers, Konstitution überhaupt in Zusammenhang bringe. Denn gleich bei der ersten Bekanntschaft habe der dirigierende Arzt ihn stark anämisch gefunden, und alles in allem scheine es, als ob maßgeblicherseits die von ihm, Hans Castorp, zu seiner Erholung angesetzte Frist nicht für recht ausreichend erachtet werde. Weiteres ehetunlichst. – So ist es gut, dachte Hans Castorp. Da ist kein Wort zu viel und doch hält es auf jeden Fall eine Weile vor. – Der Brief wurde dem Hausdiener übergeben, der ihn unter Vermeidung des Umweges über den Kasten unmittelbar zum nächsten fahrplanmäßigen Zug beförderte.
Hiernach schien unserem Abenteurer vieles geordnet, und mit beschwichtigtem Gemüt, wenn auch geplagt von Husten und Schnupfendumpfheit, lebte er abwartend in den Tag hinein,
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