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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Aber wenn es sich nun doch so verhält, so kann ich ja von Glück sagen, daß ich heraufgekommen bin und mich habe untersuchen lassen; du brauchst dir nicht die geringsten Vorwürfe deswegen zu machen. Denn du hast ja gehört: wenn ich es im Flachland noch eine Weile so weiter getrieben hätte, so wäre womöglich mir nichts dir nichts mein ganzer Lungenlappen zum Teufel gegangen.«
    »Das kann man nicht wissen!« sagte Joachim. »Das ist es ja eben, daß man das gar nicht wissen kann! Du sollst ja früher schon Stellen gehabt haben, um die sich niemand gekümmert hat und die ganz von selbst verheilt sind, so daß du jetzt nur noch ein paar gleichgültige Dämpfungen davon hast. So wäre es möglicherweise auch mit der feuchten Stelle gegangen, die du jetzt haben sollst, wenn du nicht zufällig zu mir heraufgekommen wärst, – man kann es nicht wissen!«
    »Nein, wissen kann man gar nichts«, antwortete Hans Castorp. »Und darum hat man kein Recht, das Ärgerlichste in Ansatz zu bringen, zum Beispiel auch was die Dauer meines Kuraufenthaltes betrifft. Du sagst, niemand weiß, wann ich loskomme und auf der Werft eintreten kann, aber du sagst es im pessimistischen Sinn, und das finde ich voreilig, da man es ja eben nicht wissen kann. Behrens hat keinen Termin genannt, er ist ein besonnener Mann und spielt nicht den Wahrsager. Es hat ja auch die Durchleuchtung und photographische Aufnahme noch gar nicht stattgefunden, die erst den Sachverhalt objektiv klarstellen wird, und wer weiß, ob da etwas Nennenswertes zutage kommt und ob ich nicht vorher schon fieberfrei bin und euch Adieu sagen kann. Ich bin dafür, daß wir uns nicht vor der Zeit aufspielen und denen zu Hause nicht gleich die größten Räubergeschichten erzählen. Es genügt, wenn wir {284} nächstens mal schreiben – ich kann selbst schreiben, mit der Füllfeder hier, wenn ich mich etwas aufsetze –, daß ich stark erkältet und febril und bettlägrig bin und vorderhand noch nicht reisen kann. Das Weitere findet sich.«
    »Gut,« sagte Joachim, »so können wir’s vorläufig machen. Und dann können wir ja auch mit dem anderen noch etwas zuwarten.«
    »Mit welchem anderen?«
    »Sei nicht so gedankenlos! Du bist doch nur auf drei Wochen eingerichtet mit deinem Kajütenkoffer. Du brauchst Wäsche, Unter- und Oberwäsche und Winterkleider, und brauchst mehr Schuhzeug. Schließlich, auch Geld mußt du dir kommen lassen.«
    »
Wenn
,« sagte Hans Castorp, »
wenn
ich das alles brauche.«
    »Gut, warten wir’s ab. Aber wir sollten … nein,« sagte Joachim und ging in Bewegung durchs Zimmer, »wir sollten uns keine Illusionen machen! Ich bin zu lange hier, um nicht Bescheid zu wissen. Wenn Behrens sagt, daß da eine rauhe Stelle ist, beinah ein Geräusch … Aber selbstverständlich, wir können ja zusehen!« –
    Dabei blieb es für diesmal, und vorderhand traten die acht- und vierzehntägigen Abwandlungen des Normaltages in ihre Rechte, – auch in seiner gegenwärtigen Lage hatte Hans Castorp teil daran, wo nicht durch unmittelbaren Mitgenuß, so durch Berichte, die Joachim abstattete, wenn er ihn besuchte und sich für eine Viertelstunde auf seine Bettkante setzte.
    Das Teebrett, worauf man ihm am Sonntagmorgen sein Frühstück brachte, war mit einem Blumenväschen geschmückt, und man hatte nicht versäumt, ihm von dem Feingebäck zu schicken, das heute im Saale gereicht wurde. Später wurde es drunten im Garten und auf der Terrasse lebendig, und mit Trara und Klarinettengenäsel setzte das vierzehntägige Sonntagskonzert ein, zu dem Joachim sich bei seinem Vetter {285} einfand: er nahm die Darbietung bei offener Balkontür draußen in der Loge entgegen, während Hans Castorp von seinem Bette aus, halb sitzend, den Kopf auf die Seite gelegt und liebevoll-andächtig verschwimmenden Blickes den heraufdrängenden Harmonien lauschte, nicht ohne innerlich achselzukkend der Redereien Settembrinis von der »politischen Verdächtigkeit« der Musik zu gedenken.
    Im übrigen, wie wir sagten, ließ er sich von Joachim über die Erscheinungen und Veranstaltungen dieser Tage Bericht erstatten, fragte ihn aus, ob der Sonntag festliche Toiletten gebracht habe, Spitzenmatinees oder dergleichen (für Spitzenmatinees war es jedoch zu kalt gewesen); auch ob nachmittags Wagenfahrten stattgefunden hätten (wirklich waren welche unternommen worden: der Verein »Halbe Lunge« war in corpore nach Clavadell ausgeflogen); und am Montag verlangte er, von Dr. Krokowskis

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