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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Aufgabe nur erzählt, um Sie zu erinnern, um Sie zu sich zu bringen, um Ihre Begriffe richtigzustellen, die sich offenbar unter atmosphärischen Einflüssen zu verwirren beginnen. Ich dringe in Sie: Halten Sie auf sich! Seien Sie stolz und verlieren Sie sich nicht an das Fremde! Meiden Sie diesen Sumpf, dies Eiland der Kirke, auf dem ungestraft zu hausen Sie nicht Odysseus genug sind. Sie werden auf allen Vieren gehen, Sie neigen sich schon auf Ihre vorderen Extremitäten, bald werden Sie zu grunzen beginnen, – hüten Sie sich!«
    Der Humanist hatte bei seinen leisen Ermahnungen den Kopf eindringlich geschüttelt. Er schwieg mit niedergeschlagenen Augen und zusammengezogenen Brauen. Es war unmöglich, ihm scherzhaft und ausweichend zu antworten, wie Hans Castorp es zu tun gewohnt war und wie er es auch jetzt einen Augenblick als Möglichkeit erwog. Auch er stand mit gesenkten Lidern. Dann hob er die Schultern und sagte ebenso leise:
    »Was soll ich tun?«
    »Was ich Ihnen sagte.«
    »Das heißt: abreisen?«
    Herr Settembrini schwieg.
    {376} »Wollen Sie sagen, daß ich nach Hause reisen soll?«
    »Das habe ich Ihnen gleich am ersten Abend geraten, Ingenieur.«
    »Ja, und damals war ich frei, es zu tun, obgleich ich es unvernünftig fand, die Flinte ins Korn zu werfen, nur weil die hiesige Luft mir ein bißchen zusetzte. Seitdem hat sich die Sachlage aber doch geändert. Seitdem hat sich diese Untersuchung ergeben, nach der Hofrat Behrens mir klipp und klar gesagt hat, es lohnte die Heimreise nicht, in kurzem müßte ich doch wieder antreten, und wenn ich’s da unten so weitertriebe, so ginge mir, was hast du, was kannst du, der ganze Lungenlappen zum Teufel.«
    »Ich weiß, jetzt haben Sie Ihren Ausweis in der Tasche.«
    »Ja, das sagen Sie so ironisch … mit der richtigen Ironie natürlich, die keinen Augenblick mißverständlich ist, sondern ein gerades und klassisches Mittel der Redekunst, – Sie sehen, ich merke mir Ihre Worte. Aber können Sie es denn verantworten, mir auf diese Photographie hin und nach dem Ergebnis der Durchleuchtung und nach der Diagnose des Hofrats die Heimreise anzuraten?«
    Herr Settembrini zögerte einen Augenblick. Dann richtete er sich auf, schlug auch die Augen auf, die er fest und schwarz auf Hans Castorp richtete, und erwiderte mit einer Betonung, die des theatralischen und effekthaften Einschlages nicht entbehrte:
    »Ja, Ingenieur. Ich will es verantworten.«
    Aber auch Hans Castorps Haltung hatte sich nun gestrafft. Er hielt die Absätze geschlossen und sah Herrn Settembrini ebenfalls gerade an. Diesmal war es ein Gefecht. Hans Castorp stand seinen Mann. Einflüsse aus der Nähe »stärkten« ihn. Da war ein Pädagog, und dort draußen war eine schmaläugige Frau. Er entschuldigte sich nicht einmal für das, was er sagte; er fügte nicht hinzu: »Nehmen Sie es mir nicht übel.« Er antwortete:
    {377} »Dann sind Sie vorsichtiger für sich als für andere Leute!
Sie
sind nicht gegen ärztliches Verbot nach Barcelona zum Fortschrittskongreß gereist. Sie fürchteten den Tod und blieben hier.«
    Bis zu einem gewissen Grade war dadurch Herrn Settembrinis Pose unzweifelhaft zerstört. Er lächelte nicht ganz mühelos und sagte:
    »Ich weiß eine schlagfertige Antwort zu schätzen, selbst wenn Ihre Logik der Sophisterei nicht fern ist. Es ekelt mich, in einem hier üblichen abscheulichen Wettstreit zu konkurrieren, sonst würde ich Ihnen erwidern, daß ich bedeutend kränker bin als Sie, – leider in der Tat so krank, daß ich die Hoffnung, diesen Ort je wieder verlassen und in die untere Welt zurückkehren zu können, nur künstlicher- und ein wenig selbstbetrügerischerweise hinfriste. In dem Augenblick, wo es sich als völlig unanständig erweisen wird, sie aufrechtzuhalten, werde ich dieser Anstalt den Rücken kehren und für den Rest meiner Tage irgendwo im Tal ein Privatlogis beziehen. Das wird traurig sein, aber da meine Arbeitssphäre die freieste und geistigste ist, wird es mich nicht hindern, bis zu meinem letzten Atemzuge der Sache der Menschheit zu dienen und dem Geist der Krankheit die Stirn zu bieten. Ich habe Sie auf den Unterschied, der in dieser Beziehung zwischen uns besteht, bereits aufmerksam gemacht. Ingenieur, Sie sind nicht der Mann, Ihr besseres Wesen hier zu behaupten, das sah ich bei unserer ersten Begegnung. Sie halten mir vor, ich sei nicht nach Barcelona gereist. Ich habe mich dem Verbot unterworfen, um mich nicht vorzeitig zu zerstören. Aber ich

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