Der Zauberberg
sträuben sich Ihnen auf {401} dem Kopf und die Härchen am Leibe, wie einem Stachelschwein, das sich wehrt, und Sie können sagen, Sie haben das Gruseln gelernt.«
»Oh, ich«, sagte Hans Castorp, »ich habe das schon manchmal gelernt. Mir gruselt es sogar ziemlich leicht, bei den verschiedensten Gelegenheiten. Was mich wundert, ist nur, daß die Drüsen bei so verschiedenen Gelegenheiten sich aufrichten. Wenn einer mit einem Griffel über Glas fährt, so kriegt man eine Gänsehaut, und bei besonders schöner Musik kriegt man auch plötzlich eine, und als ich bei meiner Konfirmation das Abendmahl nahm, da kriegte ich eine über die andere, das Graupeln und Prickeln wollte gar nicht mehr aufhören. Es ist doch sonderbar, wodurch nicht alles die kleinen Muskeln in Bewegung gesetzt werden.«
»Ja,« sagte Behrens, »Reiz ist Reiz. Der Inhalt des Reizes kümmert den Körper den Teufel was. Ob Gründlinge oder Abendmahl, die Talgdrüsen richten sich eben auf.«
»Herr Hofrat,« sagte Hans Castorp und betrachtete das Bild auf seinen Knien; »worauf ich noch zurückkommen wollte. Sie sprachen vorhin von inneren Vorgängen, Lymphbewegung und dergleichen … Was ist es damit? Ich würde gern mehr davon hören, von der Lymphbewegung zum Beispiel, wenn Sie die Liebenswürdigkeit hätten, es interessiert mich sehr.«
»Das will ich glauben«, erwiderte Behrens. »Die Lymphe, das ist das Allerfeinste, Intimste und Zarteste in dem ganzen Körperbetrieb, – es schwebt Ihnen wohl vermutungsweise so vor, wenn Sie fragen. Man spricht immer vom Blut und seinen Mysterien und nennt es einen besonderen Saft. Aber die Lymphe, die ist ja erst der Saft des Saftes, die Essenz, wissen Sie, Blutmilch, eine ganz deliziöse Tropfbarkeit, – nach Fettnahrung sieht sie übrigens wirklich wie Milch aus.« Und aufgeräumt und redensartlich begann er zu schildern, wie das Blut, diese theatermantelrote, durch Atmung und Verdauung be {402} reitete, mit Gasen gesättigte, mit Mauserschlacke beladene Fett-, Eiweiß-, Eisen-, Zucker- und Salzbrühe, die achtunddreißig Grad heiß von der Herzpumpe durch die Gefäße gedrückt werde und überall im Körper den Stoffwechsel, die tierische Wärme, mit einem Worte das liebe Leben in Gang halte, – wie also das Blut nicht unmittelbar an die Zellen herankomme, sondern wie der Druck, unter dem es stehe, einen Extrakt und Milchsaft davon durch die Gefäßwände schwitzen lasse und ihn in die Gewebe presse, so daß er überall hindringe, als Gewebsflüssigkeit jedes Spältchen fülle und das elastische Zellgewebe dehne und spanne. Das sei die Gewebsspannung, der Turgor, und wieder der Turgor seinerseits mache, daß die Lymphe, wenn sie die Zellen lieblich bespült und Stoff mit ihnen getauscht habe, in die Lymphgefäße getrieben werde, die vasa lymphatica, und zurück in das Blut fließe, es seien täglich anderthalb Liter. Er beschrieb das Röhren- und Saugadersystem der Lymphgefäße, redete von dem Brustmilchgang, der die Lymphe der Beine, des Bauches und der Brust, eines Armes und einer Kopfseite sammle, von zarten Filterorganen sodann, welche vielerorts in den Lymphgefäßen ausgebildet seien, Lymphdrüsen genannt und gelegen am Halse, in der Achselhöhle, den Ellbogengelenken, der Kniekehle und an ähnlich intimen und zärtlichen Körperstellen. »Da können nun Schwellungen vorkommen,« erklärte Behrens, »und davon gingen wir ja wohl aus, – Verdickungen der Lymphdrüsen, sagen wir mal: in den Kniekehlen und den Armgelenken, wassersuchtähnliche Geschwülste da und dort, und das hat immer einen Grund, wenn auch nicht gerade einen schönen. Unter Umständen wird einem der Verdacht der tuberkulösen Lymphgefäßverstopfung näher als nahgelegt.«
Hans Castorp schwieg. »Ja,« sagte er leise nach einer Pause, »es ist so, ich hätte gut Arzt werden können. Der Brustmilchgang … Die Lymphe der Beine … Das interessiert mich sehr. – {403} Was ist der Körper!« rief er auf einmal stürmisch ausbrechend. »Was ist das Fleisch! Was ist der Leib des Menschen! Woraus besteht er! Sagen Sie uns das heute nachmittag, Herr Hofrat! Sagen Sie es uns ein für allemal und genau, damit wir es wissen!«
»Aus Wasser«, antwortete Behrens. »Für organische Chemie interessieren Sie sich also auch? Das ist allergrößtenteils Wasser, woraus der humanistische Menschenleib besteht, nichts Besseres und nichts Schlechteres, es ist keine Ursache, heftig zu werden. Die Trockensubstanz beträgt bloß
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