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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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sollen, – in gewisser Weise hätte das, glaube ich, nicht schlecht für mich gepaßt. Denn wer sich für den Körper interessiert, der interessiert sich ja auch für die Krankheit, – namentlich sogar für die, – tut er das nicht? Übrigens hat es nicht viel zu sagen, ich hätte Verschiedenes werden können. Ich hätte zum Beispiel auch Geistlicher werden können.«
    »Nanu?«
    »Ja, vorübergehend ist es mir schon manchmal so vorgekommen, als ob ich dabei eigentlich ganz in meinem Element gewesen wäre.«
    »Warum sind Sie denn Ingenieur geworden?«
    {399} »Aus Zufall. Das waren wohl mehr oder weniger die äußeren Umstände, die darin den Ausschlag gaben.«
    »Na, von der Haut? Was soll ich Ihnen denn von Ihrem Sinnesblatt erzählen. Das ist Ihr Außenhirn, verstehen Sie, – ontogenetisch ganz desselben Ursprungs wie der Apparat für die sogenannten höheren Sinnesorgane da oben in Ihrem Schädel: das zentrale Nervensystem, müssen Sie wissen, ist bloß eine leichte Umbildung der äußeren Hautschicht, und bei den niederen Tieren, da gibts den Unterschied zwischen zentral und peripher überhaupt noch nicht, die riechen und schmecken mit der Haut, müssen Sie sich vorstellen, die haben überhaupt bloß Hautsinnlichkeit, – muß ganz behaglich sein, wenn man sich so hineinversetzt. Dagegen bei so hoch differenzierten Lebewesen, wie Sie und ich, da beschränkt sich der Ehrgeiz der Haut auf die Kitzlichkeit, da ist sie bloß noch Schutz- und Meldeorgan, aber höllisch auf dem Posten gegen alles, was dem Körper zu nahe treten will, – sie streckt ja sogar noch Tastapparate über sich hinaus, die Haare nämlich, die Körperhärchen, die bloß aus verhornten Hautzellen bestehen und eine Annäherung schon spüren lassen, bevor die Haut selbst noch berührt ist. Unter uns gesagt, es ist sogar möglich, daß sich der Schutz- und Abwehrberuf der Haut nicht bloß aufs Körperliche erstreckt … Wissen Sie, wie Sie rot und blaß werden?«
    »Ungenau.«
    »Ja, ganz genau wissen wir es, offen gestanden, auch nicht, wenigstens was das Schamrotwerden betrifft. Die Sache ist nicht ganz aufgehellt, denn erweiternde Muskeln, die durch die vasomotorischen Nerven in Bewegung gesetzt werden könnten, haben sich bis dato an den Gefäßen nicht nachweisen lassen. Wieso dem Hahn eigentlich der Kamm schwillt – oder was sich sonst für renommistische Beispiele anführen ließen –, das ist sozusagen mysteriös, besonders da es sich um psychische Einwirkung handelt. Wir nehmen an, daß Verbindungen zwi {400} schen der Großhirnrinde und dem Gefäßzentrum im Kopfmark bestehen. Und bei gewissen Reizen also, zum Exempel: Sie schämen sich mächtig, da spielt diese Verbindung, und die Gefäßnerven nach dem Gesichte spielen, und dann dehnen und füllen die dortigen Blutgefäße sich, daß Sie einen Kopf kriegen wie ein Puter, ganz hochgeschwollen von Blut sind Sie da und können nicht aus den Augen sehen. Dagegen in anderen Fällen, Gott weiß, was Ihnen bevorsteht, was ganz gefährlich Schönes möglicherweise, – da ziehen die Blutgefäße der Haut sich zusammen, und die Haut wird blaß und kalt und fällt ein, und dann sehen Sie aus wie ’ne Leiche vor lauter Emotion, mit bleifarbenen Augenhöhlen und einer weißen, spitzen Nase. Aber das Herz läßt der Sympathikus ordentlich trommeln.«
    »So kommt das also«, sagte Hans Castorp.
    »So ungefähr. Das sind Reaktionen, wissen Sie. Da aber alle Reaktionen und Reflexe von Hause aus einen Zweck haben, so vermuten wir Physiologen beinah, daß auch diese Begleiterscheinungen psychischer Affekte eigentlich zweckmäßige Schutzmittel sind, Abwehrreflexe des Körpers, wie die Gänsehaut. Wissen Sie, wie Sie eine Gänsehaut kriegen?«
    »Auch nicht so recht.«
    »Das ist nämlich eine Veranstaltung der Hauttalgdrüsen, die die Hautschmiere absondern, so ein eiweißhaltiges, fettiges Sekret, wissen Sie, nicht gerade appetitlich, aber es hält die Haut geschmeidig, damit sie vor Dürre nicht reißt und springt und angenehm anzufassen ist, – es ist ja nicht auszudenken, wie die menschliche Haut anzufassen wäre ohne die Cholesterinschmiere. Diese Hautsalbendrüsen haben kleine organische Muskeln, die die Drüsen aufrichten können, und wenn sie das tun, dann wird Ihnen wie dem Jungen, dem die Prinzessin den Eimer mit den Gründlingen über den Leib goß, wie ein Reibeisen wird Ihre Haut, und wenn der Reiz stark ist, so richten auch die Haarbälge sich auf, – die Haare

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