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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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liederliches Spiel, das ich verabscheue, weil es sich im Grunde gegen Zivilisation und entwickelte Menschlichkeit richtet, – sich frech und schamlos dagegen richtet. Ich habe Sie auch nicht ›Du‹ genannt, bilden Sie sich das {498} nicht ein! Ich zitierte eine Stelle aus dem Meisterwerk Ihrer Nationalliteratur. Ich sprach also poetischerweise …«
    »Ich auch! Ich spreche auch gewissermaßen poetischerweise, – weil mir der Augenblick danach angetan zu sein scheint, darum spreche ich so. Ich sage gar nicht, daß es mir so ganz natürlich ist und leicht fällt, dich ›Du‹ zu nennen, im Gegenteil, es kostet mich eine gewisse Selbstüberwindung, ich muß mir einen Ruck geben, um es zu tun, aber diesen Ruck gebe ich mir gern, ich gebe ihn mir freudig und von Herzen …«
    »Von Herzen?«
    »Von Herzen, ja, das kannst du mir glauben. Wir sind nun schon so lange beieinander hier oben, – sieben Monate, wenn du nachrechnest; das ist ja für unsere Verhältnisse hier oben noch nicht einmal sehr viel, aber für untere Begriffe, wenn ich zurückdenke, ist es doch eine Menge Zeit. Nun, und die haben wir nun miteinander verbracht, weil das Leben uns hier zusammenführte, und haben uns fast täglich gesehen und interessante Gespräche miteinander geführt, zum Teil über Gegenstände, von denen ich unten überhaupt keinen Deut begriffen hätte. Aber hier sehr wohl; hier waren sie mir sehr wichtig und naheliegend, so daß ich immer, wenn wir diskutierten, in höchstem Grade bei der Sache war. Oder vielmehr, wenn du mir die Dinge als homo humanus expliziertest; denn ich hatte natürlich aus meiner bisherigen Unerfahrenheit nicht viel beizutragen und konnte immer nur außerordentlich hörenswert finden, was du sagtest. Durch dich habe ich so viel erfahren und verstanden … Das mit Carducci war das Wenigste, aber wie beispielsweise die Republik mit dem schönen Stil zusammenhängt oder die Zeit mit dem Menschheitsfortschritt, – wohingegen, wenn keine Zeit wäre, auch kein Menschheitsfortschritt sein könnte, sondern die Welt nur ein stagnierendes Wasserloch und ein fauliger Tümpel wäre, – was wüßte ich davon, wenn du nicht gewesen wärst! Ich nenne dich einfach ›Du‹ und {499} rede dich sonst nicht weiter an, entschuldige, weil ich nicht wüßte, wie das geschehen sollte, – ich kann es nicht gut. Da sitzest du, und ich sage einfach ›Du‹ zu dir, das genügt. Du bist nicht irgend ein Mensch mit einem Namen, du bist ein Vertreter, Herr Settembrini, ein Vertreter hierorts und an meiner Seite, – das bist du«, bestätigte Hans Castorp und schlug mit der flachen Hand auf das Tischtuch. »Und nun will ich dir einmal danken,« fuhr er fort und schob seinen Glasbecher mit Sekt und Burgunder an Herrn Settembrinis Kaffeetäßchen heran, gleichsam, um auf dem Tisch mit ihm anzustoßen, – »dafür, daß du dich in diesen sieben Monaten so freundlich meiner angenommen hast und mir jungem mulus, auf den so viel Neues eindrang, zur Hand gegangen bist bei meinen Übungen und Experimenten und berichtigend auf mich einzuwirken gesucht hast, ganz sine pecunia, teils mit Geschichten und teils in abstrakter Form. Ich habe das deutliche Gefühl, daß der Augenblick gekommen ist, dir dafür und für all das zu danken und dich um Verzeihung zu bitten, wenn ich ein schlechter Schüler war, ein ›Sorgenkind des Lebens‹, wie du sagtest. Es hat mich sehr gerührt, wie du das sagtest, und jedesmal, wenn ich daran denke, rührt es mich wieder. Ein Sorgenkind, das war ich wohl auch für dich und deine pädagogische Ader, auf die du damals gleich am ersten Tage zu sprechen kamst, – natürlich, das ist auch einer von den Zusammenhängen, die du mich gelehrt hast, der von Humanismus und Pädagogik, – es würden mir mit der Zeit gewiß noch mehrere einfallen. Verzeih mir also und denke meiner nicht im Bösen! Dein Wohl, Herr Settembrini, sollst leben! Ich leere mein Glas zu Ehren deiner literarischen Anstrengungen zur Ausmerzung der menschlichen Leiden!« schloß er, trank, hintenüber geneigt, mit ein paar großen Schlucken sein Weingemisch aus und stand auf. »Nun wollen wir zu den anderen hinübergehn.«
    »Hören Sie, Ingenieur, was ist Ihnen in die Krone gefahren?« {500} sagte der Italiener, die Augen voller Erstaunen, und verließ gleichfalls den Tisch. »Das klingt wie Abschied …«
    »Nein, warum Abschied?« wich Hans Castorp aus. Er wich nicht nur figürlich aus, mit seinen Worten, sondern auch

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