Der Zauberberg
daß er ihm schon früher von ihnen erzählt hatte. Dies sei also der junge Ingenieur mit den drei Wochen, bei dem Hofrat Behrens eine feuchte Stelle gefunden habe, sagte er, und dies hier jene Hoffnung der preußischen Heeresorganisation, Leutnant Ziemßen. Und er sprach von Joachims Gemütsempörung und Reiseplänen, um hinzuzufügen, daß man dem Ingenieur zweifellos zu nahe treten würde, wenn man ihm nicht dieselbe Ungeduld zuschriebe, zur Arbeit zurückzukehren.
{568} Naphta verzog das Gesicht. Er sagte:
»Die Herren haben da einen beredten Vormund. Ich hüte mich, zu bezweifeln, daß er Ihre Gedanken und Wünsche zutreffend verdolmetscht. Arbeit, Arbeit –, ich bitte, gleich wird er mich einen Feind der Menschheit schelten, einen inimicus humanae naturae, wenn ich es wage, an Zeiten zu erinnern, wo er mit dieser Fanfare den gewohnten Effekt durchaus nicht erzielt hätte, nämlich an Zeiten, wo das Gegenteil seines Ideals in unvergleichlich höheren Ehren stand. Bernhard von Clairvaux etwa lehrte eine andere Stufenfolge der Vollkommenheit, als Herr Lodovico sie sich je hat träumen lassen. Wollen Sie wissen, welche? Sein unterster Stand befindet sich in der ›Mühle‹, der zweite auf dem ›Acker‹, der dritte und lobenswerteste aber – hören Sie nicht zu, Settembrini –, ›auf dem Ruhebett‹. Die Mühle, das ist das Sinnbild des Weltlebens, – nicht schlecht gewählt. Der Acker bedeutet die Seele des weltlichen Menschen, darauf der Prediger und geistliche Lehrer wirkt. Diese Stufe ist schon würdiger. Auf dem Bette aber –«
»Genug! Wir wissen!« rief Settembrini. »Meine Herren, jetzt wird er Ihnen Zweck und Gebrauch des Lotterbettes vor Augen führen!«
»Ich wußte nicht, daß Sie prüde sind, Lodovico. Wenn man Sie den Mädchen zuzwinkern sieht … Wo bleibt die heidnische Unbefangenheit? Das Bett also ist der Ort der Beiwohnung des Minnenden mit dem Gemeinten und als Symbolum die beschauliche Abgeschiedenheit von Welt und Kreatur zum Zwekke der Beiwohnung mit Gott.«
»Puh! Andate, andate!« wehrte der Italiener fast weinend ab. Man lachte. Dann aber fuhr Settembrini mit Würde fort:
»Ah, nein, ich bin Europäer, Okzidentale. Ihre Rangordnung da ist reiner Orient. Der Osten verabscheut die Tätigkeit. Lao-Tse lehrte, daß Nichtstun förderlicher sei als jedes Ding zwischen Himmel und Erde. Wenn alle Menschen aufgehört ha {569} ben würden, zu tun, werde vollkommene Ruhe und Glückseligkeit auf Erden herrschen. Da haben Sie Ihre Beiwohnung.«
»Was Sie nicht sagen. Und die abendländische Mystik? Und der Quietismus, der Fénelon zu den Seinen zählen darf, und der lehrte, daß jedes Handeln fehlerhaft sei, da tätig sein zu wollen, Gott beleidigen heiße, der allein handeln wolle? Ich zitiere die Propositionen von Molinos. Es scheint doch, daß die geistige Möglichkeit, das Heil in der Ruhe zu finden, allgemeine menschliche Verbreitung besitzt.«
Hier griff Hans Castorp ein. Mit dem Mut der Einfalt mischte er sich ins Gespräch und äußerte ins Leere blickend:
»Beschaulichkeit, Abgeschiedenheit. Es hat was für sich, es läßt sich hören. Wir leben ja ziemlich hochgradig abgeschieden, wir hier oben, das kann man sagen. Fünftausend Fuß hoch liegen wir auf unseren Stühlen, die auffallend bequem sind, und sehen auf Welt und Kreatur hinunter und machen uns unsere Gedanken. Wenn ich mir’s überlege und soll die Wahrheit sagen, so hat das Bett, ich meine damit den Liegestuhl, verstehen Sie wohl, mich in zehn Monaten mehr gefördert und mich auf mehr Gedanken gebracht, als die Mühle im Flachlande all die Jahre her, das ist nicht zu leugnen.«
Settembrini sah ihn mit traurig schimmernden schwarzen Augen an. »Ingenieur,« sagte er gepreßt, »Ingenieur!« Und er nahm Hans Castorp am Arm und hielt ihn ein wenig zurück, gleichsam um hinter dem Rücken der anderen privatim auf ihn einzureden.
»Wie oft habe ich Ihnen gesagt, daß man wissen sollte, was man ist, und denken, wie es einem zukommt! Sache des Abendländers, trotz aller Propositionen, ist die Vernunft, die Analyse, die Tat und der Fortschritt, – nicht das Faulbett des Mönches!«
Naphta hatte zugehört. Er sprach nach hinten:
»Des Mönchs! Man dankt den Mönchen die Kultur des europäischen Bodens! Man dankt ihnen, daß Deutschland, {570} Frankreich und Italien nicht mit Wildwald und Ursümpfen bedeckt sind, sondern uns Korn, Obst und Wein bescheren! Die Mönche, mein Herr, haben sehr wohl
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