Der Zauberberg
gearbeitet …«
»Ebbè, nun also!«
»Ich bitte. Die Arbeit des Religiösen war weder Selbstzweck, das heißt: Betäubungsmittel, noch lag ihr Sinn darin, die Welt zu fördern oder geschäftliche Vorteile zu erlangen. Sie war reine asketische Übung, Bestandteil der Bußdisziplin, Heilsmittel. Sie gewährte Schutz gegen das Fleisch, diente der Abtötung der Sinnlichkeit. Sie trug also – erlauben Sie mir, das festzustellen – völlig unsozialen Charakter. Sie war ungetrübtester religiöser Egoismus.«
»Ich bin Ihnen für die Aufklärung sehr verbunden und freue mich, den Segen der Arbeit auch gegen den Willen des Menschen sich bewähren zu sehen.«
»Ja, gegen seine Absicht. Wir bemerken da nichts Geringeres, als den Unterschied zwischen dem Nützlichen und dem Humanen.«
»Ich bemerke vor allem mit Unmut, daß Sie schon wieder Weltentzweiung treiben.«
»Ich bedauere, mir Ihr Mißfallen zugezogen zu haben, aber man muß die Dinge scheiden und ordnen und die Idee des Homo Dei von unreinen Bestandteilen freihalten. Ihr Italiener habt das Wechslergeschäft und die Banken erfunden; das verzeih’ euch Gott. Aber die Engländer erfanden die ökonomistische Gesellschaftslehre, und das wird der Genius des Menschen ihnen niemals verzeihen.«
»Ah, der Genius der Menschheit war auch in den großen ökonomischen Denkern jener Inseln lebendig! – Sie wollten sprechen, Ingenieur?«
Das leugnete Hans Castorp, sagte aber dennoch – und Naphta sowohl wie Settembrini hörten ihm mit einer gewissen Spannung zu:
{571} »An dem Beruf meines Vetters müssen Sie demnach Gefallen haben, Herr Naphta, und einverstanden sein mit seiner Ungeduld, ihn zu ergreifen … Ich bin ja Zivilist durch und durch, mein Vetter macht es mir öfters zum Vorwurf. Ich habe nicht mal gedient und bin ganz ausgesprochen ein Kind des Friedens und habe sogar schon manchmal gedacht, daß ich sehr gut auch Geistlicher hätte werden können, – fragen Sie meinen Vetter, ich habe verschiedentlich sowas geäußert. Aber wenn ich von meinen persönlichen Neigungen mal absehe – und vielleicht brauch’ ich, genau genommen, gar nicht so ganz davon abzusehen –, so habe ich eine Menge Verständnis und Neigung für den militärischen Stand. Es hat ja eine verteufelt ernsthafte Bewandtnis damit, eine ›asketische‹, wenn Sie wollen – Sie waren vorhin so freundlich, den Ausdruck irgendwie zu gebrauchen –, und immer muß er damit rechnen, es mit dem Tode zu tun zu bekommen, – mit dem ja letzten Endes auch der geistliche Stand es zu tun hat, – womit denn sonst. Daher hat der Soldatenstand die bienséance und die Rangordnung und den Gehorsam und die spanische Ehre, wenn ich so sagen darf, und es ist ziemlich gleich, ob einer einen steifen Uniformkragen trägt oder eine gestärkte Halskrause, es kommt auf dasselbe hinaus, auf das ›Asketische‹, wie Sie vorhin so hervorragend sich ausdrückten … Ich weiß nicht, ob es mir gelingt, Ihnen meinen Gedankengang …«
»Doch, doch«, sagte Naphta und warf einen Blick zu Settembrini hinüber, der seinen Stock drehte und den Himmel betrachtete.
»Und darum meine ich,« fuhr Hans Castorp fort, »daß die Neigungen meines Vetters Ziemßen Ihnen sympathisch sein müßten, nach allem, was Sie sagen. Ich denke da nicht an ›Thron und Altar‹ und solche Verbindungen, womit manche Leute, so schlechthin ordnungsliebende und einfach bloß wohlgesinnte Leute, die Zusammengehörigkeit manchmal {572} rechtfertigen. Sondern ich denke daran, daß die Arbeit des Soldatenstandes, das heißt der Dienst – in diesem Falle spricht man von Dienst – absolut nicht um geschäftlicher Vorteile willen geschieht und zur ›ökonomischen Gesellschaftslehre‹, wie Sie sagten, gar keine Beziehungen hat, weshalb denn auch die Engländer nur wenig Soldaten haben, ein paar für Indien und ein paar zu Hause für die Parade …«
»Es ist zwecklos, daß Sie fortfahren, Ingenieur«, unterbrach ihn Settembrini. »Die soldatische Existenz – ich sage das, ohne unserm Leutnant zu nahe treten zu wollen – ist geistig indiskutabel, denn sie ist rein formal, an und für sich ohne Inhalt, der Grundtypus des Soldaten ist der Landsknecht, der sich für diese oder auch jene Sache anwerben ließ, – kurzum, es gab den Soldaten der spanischen Gegenreformation, den Soldaten der Revolutionsheere, den napoleonischen, den Garibaldis, es gibt den preußischen. Lassen Sie mich über den Soldaten reden, wenn ich
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