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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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das taten sie, nämlich durch letzteres. Er schien es mit dem Quietismus zu halten, der hatte wissen wollen, daß Handeln Gott beleidigen heiße, der es allein tun wolle. Jedenfalls hatte Hans Castorps Aktivität in diesen Tagen sich auf einen Besuch bei Behrens beschränkt, eine Rücksprache, von der Joachim wußte, und deren Verlauf und Ergebnis er sich an fünf Fingern ausrechnen konnte. Sein Vetter hatte erklärt, er erlaube sich, auf des Hofrats frühere vielfältige {636} Ermahnungen, seinen Fall hier gründlich auszuheilen, damit er niemals wiederkommen müsse, mehr Gewicht zu legen, als auf das rasche Wort einer unwilligen Minute; er habe 37,8, er könne sich nicht als rite entlassen fühlen, und wenn des Hofrats Äußerung von neulich nicht etwa als Relegation zu verstehen gewesen sei, zu welcher Maßregel Anlaß gegeben zu haben er, Sprecher, sich nicht bewußt sei, so habe er, nach ruhiger Überlegung und in bewußtem Gegensatz zu Joachim Ziemßen, beschlossen, noch hier zu bleiben und seine völlige Entgiftung abzuwarten. Worauf der Hofrat ziemlich wörtlich erwidert hatte: »Bon und schön!« und: »Nichts für ungut!« und: das heiße er wie ein vernünftiger Kerl reden, und: er habe es doch gleich gesehen, daß Hans Castorp mehr Talent zum Patienten habe, als dieser Durchgänger und Haudegen da. Und so fort.
    Dies also war, nach Joachims annähernd genauer Kalkulation, der Hergang des Gespräches gewesen, und so sagte er nichts und stellte eben nur schweigend fest, daß Hans Castorp sich seinen die Abreise vorbereitenden Schritten nicht anschloß. Wieviel hatte aber auch der gute Joachim mit sich selber zu tun! Er konnte sich wirklich um Schicksal und Verbleib des Vetters nicht weiter kümmern. Ein Sturm wogte in seiner Brust, – man kann es sich denken. Nur gut, vielleicht, daß er sich nicht mehr maß, sondern sein Instrument, angeblich, indem er es hatte fallen lassen, zerbrochen hatte: Messungen hätten beirrende Ergebnisse zeitigen mögen, – so furchtbar aufgeregt, bald dunkel glühend, bald bleich vor Freude und Spannung, wie Joachim war. Er konnte nicht mehr liegen; den ganzen Tag ging er in seinem Zimmer auf und ab, wie Hans Castorp hörte: zu all den Stunden, viermal am Tage, in welchen auf »Berghof« die Horizontale herrschte. Anderthalb Jahre! Und nun hinunter ins Flachland, nach Hause, nun wirklich zum Regiment, wenn auch nur mit halber Erlaubnis! Das war {637} keine Kleinigkeit, in keinem Sinne, Hans Castorp fühlte es dem ruhelos wandernden Vetter nach. Achtzehn Monate, den vollen Jahreszirkel und dann die Hälfte noch einmal durchlaufen hier oben, tief eingelebt, eingefahren in dieses Ordnungsgeleis, diesen unverbrüchlichen Lebensgang, den er in siebenmal siebenzig Tagen zu allen Gezeiten erprobt, – und nun nach Haus in die Fremde, zu den Unwissenden! Welche Akklimatisationsschwierigkeiten mochten da drohen? Und durfte man sich wundern, wenn Joachims große Aufregung nicht nur aus Freude bestand, sondern auch Bangigkeit, Weh des Abschieds vom durch und durch Gewohnten ihn durch sein Zimmer trieb? – Von Marusja hier ganz zu schweigen.
    Aber die Freude überwog. Herz und Mund gingen dem guten Joachim über davon; er sprach von sich, er ließ des Vetters Zukunft auf sich beruhen. Er sprach davon, wie neu und erfrischt alles sein werde, das Leben, er selbst, die Zeit – jeder Tag, jede Stunde. Solide Zeit werde er wieder haben, langsam gewichtige Jugendjahre. Er sprach von seiner Mutter, Hans Castorps Stieftante Ziemßen, die ebenso sanfte, schwarze Augen hatte, wie Joachim, und die dieser all die Bergzeit her nicht gesehen, da sie, hingehalten von Monat zu Monat, von Halbjahr zu Halbjahr gleich ihm, zu einem Besuche des Sohnes sich nie entschlossen hatte. Er sprach mit begeistertem Lächeln vom Fahneneid, den er nun baldigst ablegen würde –: in Gegenwart der Fahne wurde er unter feierlichen Umständen geleistet, ihr selbst, der Standarte wurde er zugeschworen. »Nanu?« fragte Hans Castorp. »Ernstlich? Der Stange? Dem Fetzen Tuch?« – Ja, allerdings; und bei der Artillerie dem Geschütz, symbolischer Weise. – Das seien ja schwärmerische Sitten, meinte der Zivilist, empfindsam-fanatische, könne man sagen; wozu Joachim stolz und glücklich mit dem Kopfe nickte.
    Er ging auf in Vorbereitungen, er beglich seine Schlußnota auf der Verwaltung, begann schon Tage vor dem selbstgesetz {638} ten Termin mit dem Kofferpacken. Sommer- und Winterzeug packte er ein und ließ

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