Der Zauberberg
und heiter gesprächiger Mann, ein Kavalier, obgleich es ihm offenbar nicht vergönnt ist, häufig seine Kleidung zu wechseln.«
»Überhaupt nicht!« sagte Hans Castorp. »Überhaupt nicht vergönnt! Ich kenne ihn nun schon lange Zeit und bin sehr befreundet mit ihm, das heißt, er hat sich meiner aufs dankenswerteste angenommen, weil er nämlich fand, ich wäre ein ›Sorgenkind des Lebens‹ – das ist so eine Redewendung zwischen uns, der Ausdruck ist nicht ohne weiteres verständlich – und sich die Mühe gibt, berichtigend auf mich einzuwirken. Aber nie habe ich ihn anders gesehen, weder im Sommer noch im Winter, als in den gewürfelten Hosen und dem faserigen Doppelreiher, er trägt die alten Sachen übrigens mit hervorragendem Anstand, durchaus kavaliermäßig, da stimme ich Ihnen entschieden zu. Es ist ein Triumph über die Ärmlichkeit, wie er sie trägt, und mir ist diese Ärmlichkeit sogar lieber als die Eleganz des kleinen Naphta, bei der einem nie recht geheuer ist, sie ist sozusagen des Teufels, und die Mittel dazu bezieht er hintenherum, – ich habe einigen Einblick in die Verhältnisse.«
»Ein ritterlicher und heiterer Mann,« wiederholte Peeperkorn, ohne auf die Bemerkung über Naphta einzugehen, »wenn auch – erlauben Sie mir diese Einschränkung – wenn {911} auch nicht ohne Vorurteile. Madame, meine Reisebegleiterin, schätzt ihn nicht sonderlich, wie Sie vielleicht bemerkt haben werden; sie äußert sich ohne Sympathie über ihn, zweifellos weil sie derartige Vorurteile aus seinem Verhalten gegen sie – Kein Wort, junger Mann. Ich bin weit entfernt, Herrn Settembrini und Ihren freundschaftlichen Empfindungen für ihn – Erledigt! Ich denke nicht daran, zu behaupten, daß er es je im Punkte jener Artigkeit, die ein Kavalier einer Dame – Perfekt, lieber Freund, durchaus einwandfrei! Allein es ist da doch eine Grenze, eine Zurückhaltung, eine gewisse Re–ku–sa–tion, die Madames Stimmung gegen ihn menschlich in hohem Grade –«
»Begreiflich macht. Verständlich macht. In hohem Grade rechtfertigt. Verzeihen Sie, Mynheer Peeperkorn, daß ich eigenmächtig Ihren Satz beende. Ich kann es riskieren in dem Bewußtsein völligen Einverständnisses mit Ihnen. Besonders wenn man in Anschlag bringt, wie sehr die Frauen – Sie mögen lächeln, daß ich in meinem zarten Alter so allgemein von den Frauen spreche – wie sehr sie in ihrem Verhalten zum Manne abhängig sind von dem Verhalten des Mannes zu ihnen, – so gibt es da nichts zu verwundern. Die Frauen, so möchte ich mich ausdrücken, sind reaktive Geschöpfe, ohne selbständige Initiative, lässig im Sinne von passiv … Lassen Sie mich das, bitte, wenn auch mühsam, etwas weiter auszuführen versuchen. Die Frau, soweit ich feststellen konnte, betrachtet sich in Liebesangelegenheiten primär durchaus als Objekt, sie läßt es an sich herankommen, sie wählt nicht frei, sie wird zum wählenden Subjekt der Liebe erst auf Grund der Wahl des Mannes, und auch dann noch, erlauben Sie mir, das hinzuzufügen, ist ihre Wahlfreiheit – vorausgesetzt nur eben, daß es sich nicht um eine gar zu betrübte Seele von Mann handelt, aber selbst das kann nicht als strenge Bedingung gelten – ist also ihre Wahlfreiheit sehr beeinträchtigt und bestochen durch die Tatsache,
daß
sie gewählt wurde. Lieber Gott, es werden Abge {912} schmacktheiten sein, was ich da äußere, aber wenn man jung ist, so ist einem natürlich alles neu, neu und erstaunlich. Sie fragen eine Frau: ›Liebst du ihn denn?‹ ›Er liebt mich so sehr!‹ antwortet sie Ihnen mit Augenaufschlag oder auch –niederschlag. Nun stellen Sie sich eine solche Antwort im Munde von unsereinem vor – verzeihen Sie die Zusammenziehung! Vielleicht gibt es Männer, die so antworten müßten, aber sie sind doch ausgesprochen ridikül, Pantoffelhelden der Liebe, um mich epigrammatisch auszudrücken. Ich möchte wissen, von welcher Selbsteinschätzung diese weibliche Antwort eigentlich zeugt. Findet die Frau, daß sie dem Manne grenzenlose Ergebenheit schuldet, der ein so niederes Wesen wie sie mit seiner Liebeswahl begnadet, oder erblickt sie in der Liebe des Mannes zu ihrer Person ein untrügliches Zeichen seiner Vorzüglichkeit. Das habe ich mich in stillen Stunden schon beiläufig hier und da einmal gefragt.«
»Urdinge, klassische Tatsachen, Sie rühren, junger Mann, mit Ihrem gewandten kleinen Wort an heilige Gegebenheiten«, erwiderte Peeperkorn. »Den Mann
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