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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Übertreibung und Dicktuerei, erwiderte Naphta. Und er nannte den Mount Everest, der dem Vorwitz des Menschen bis dato eisige Ablehnung entgegengesetzt habe und in dieser Reserve dauernd verharren zu wollen scheine. Der Humanist ärgerte sich. Die Herren kehrten {1052} zum »Kurhaus« zurück, vor dem neben den eigenen ein paar fremde, ausgespannte Schlitten standen.
    Man konnte hier wohnen. Im Obergeschoß gab es Hotelzimmer mit Nummern. Dort lag auch das Eßzimmer, bäurisch und wohl geheizt. Die Ausflügler bestellten einen Imbiß bei der dienstwilligen Wirtin: Kaffee, Honig, Weißbrot und Birnenbrot, die Spezialität des Ortes. Den Kutschern ward Rotwein geschickt. Schweizerische und holländische Besucher saßen an anderen Tischen.
    Wir hätten Lust zu sagen, daß an demjenigen unserer fünf Freunde die Erwärmung durch den heißen und sehr löblichen Kaffee ein höheres Gespräch gezeitigt habe. Doch wären wir ungenau damit, denn dies Gespräch war eigentlich ein Monolog Naphtas, der es nach wenigen Worten, die andere beigetragen, allein bestritt, – ein Monolog, geführt auf recht sonderbare und gesellschaftlich anstößige Art, da der Ex-Jesuit sich nämlich, liebenswürdig instruierend, ausschließlich an Hans Castorp damit wandte, Herrn Settembrini, der an seiner anderen Seite saß, den Rücken zukehrte und auch die beiden anderen Herren völlig unbeachtet ließ.
    Es wäre schwer gewesen, das Thema seiner Improvisation, der Hans Castorp mit halb und halb zustimmendem Kopfnikken folgte, bei Namen zu nennen. Einheitlichen Gegenstandes war sie wohl eigentlich nicht, sondern bewegte sich locker im Geistigen, da und dort anstreifend und im wesentlichen darauf aus, die Zweideutigkeit der geistigen Lebenserscheinungen, die irisierende Natur und kämpferische Unbrauchbarkeit der daraus abgezogenen großen Begriffe auf eine entmutigende Art nachzuweisen und bemerklich zu machen, in wie schillerndem Gewande das Absolute auf Erden erscheine.
    Allenfalls hätte man seinen Vortrag auf das Problem der Freiheit festlegen können, das er im Sinne der Verwirrung behandelte. Unter anderem sprach er von der Romantik und {1053} dem faszinierenden Doppelsinn dieser europäischen Bewegung vom Anfang des 19. Jahrhunderts, vor der die Begriffe der Reaktion und der Revolution zunichte würden, sofern sie sich nicht zu einem höheren vereinigten. Denn es sei selbstverständlich höchst lächerlich, den Begriff des Revolutionären ausschließlich mit dem Fortschritt und der siegreich anrennenden Aufklärung verbinden zu wollen. Die europäische Romantik sei vor allem eine Freiheitsbewegung gewesen: antiklassizistisch, antiakademisch, gerichtet gegen den altfranzösischen Geschmack, gegen die Alte Schule der Vernunft, deren Verteidiger sie als gepuderte Perückenköpfe verhöhnt habe.
    Und Naphta fiel auf die Freiheitskriege, auf Fichte’sche Begeisterungen, auf jene rausch- und gesangvolle völkische Erhebung gegen eine unerträgliche Tyrannei, – als welche nur leider, he, he, die Freiheit, das heiße: die Ideen der Revolution verkörpert habe. Sehr lustig: Laut singend habe man ausgeholt, um die revolutionäre Tyrannei zugunsten der reaktionären Fürstenfuchtel zu zerschlagen, und das habe man für die Freiheit getan.
    Der jugendliche Zuhörer werde da des Unterschiedes oder auch Gegensatzes von äußerer und innerer Freiheit gewahr – und zugleich der kitzlichen Frage, welche Unfreiheit mit der Ehre einer Nation am ehesten, he, he, am wenigsten verträglich sei.
    Freiheit sei wohl eigentlich mehr noch ein romantischer als aufklärerischer Begriff, denn mit der Romantik habe er die unentwirrbare Verschränkung menschheitlicher Ausdehnungstriebe und leidenschaftlich verengernder Ichbetonung gemeinsam. Individualistischer Freiheitstrieb habe den historisch-romantischen Kultus des Nationalen gezeitigt, der kriegerisch sei, und den der humanitäre Liberalismus finster nenne, wiewohl dieser doch ebenfalls den Individualismus lehre, nur eben ein wenig anders herum. Der Individualismus sei {1054} romantisch-mittelalterlich in seiner Überzeugung von der unendlichen, der kosmischen Wichtigkeit des Einzelwesens, woraus die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, die geozentrische Lehre und die Astrologie sich ergäben. Andererseits sei Individualismus eine Angelegenheit des liberalisierenden Humanismus, welcher zur Anarchie neige und jedenfalls das liebe Individuum davor schützen wolle, der Allgemeinheit geopfert zu werden. Das

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