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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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vorhängenden Schultern am Guten Russentisch.
    O nein, er sei nicht hier, entgegnete die Lehrerin. Er sei überhaupt noch nicht hier gewesen, sei hier ganz unbekannt.
    »Sie sollte die Tür ordentlich zumachen!« sagte Hans Castorp. »Immer läßt sie sie zufallen. Das ist doch eine Unmanier.«
    Und da die Lehrerin den Verweis demütig lächelnd einsteckte, als sei sie selber die Schuldige, so war nicht weiter die Rede von Madame Chauchat. –
    Das zweite Vorkommnis bestand darin, daß Dr. Blumenkohl vorübergehend den Saal verließ, – weiter war es nichts. Plötzlich verstärkte sich der leise angewiderte Ausdruck seines Gesichtes, sorgenvoller als sonst blickte er auf einen Punkt, schob dann mit bescheidener Bewegung seinen Stuhl zurück und ging hinaus. Hier aber zeigte sich Frau Stöhrs große Unbildung im vollsten Licht, denn wahrscheinlich aus gemeiner Genugtuung darüber, daß sie weniger krank war als Blumenkohl, begleitete sie seinen Weggang mit halb mitleidigen, halb verächtlichen Glossen. »Der Ärmste!« sagte sie. »Der pfeift bald aus dem letzten Loch. Schon wieder muß er sich mit dem Blauen Heinrich besprechen.« Ganz ohne Überwindung, mit störrisch unwissender Miene, brachte sie die fratzenhafte Bezeichnung »der blaue Heinrich« über die Lippen, und Hans Castorp empfand ein Gemisch von Schrecken und Lachreiz, als sie es sagte. Übrigens kehrte Dr. Blumenkohl nach wenigen Minuten in der gleichen bescheidenen Haltung zurück, in der er hinausgegangen war, nahm wieder Platz und fuhr fort, zu essen. Auch er aß sehr viel, von jedem Gerichte zweimal, stumm und mit sorgenvoll verschlossener Miene.
    {121} Dann war das Mittagessen beendet: dank einer gewandten Bedienung – denn die Zwergin besonders war ein sonderbar raschfüßiges Wesen – hatte es nur eine gute Stunde gedauert. Hans Castorp, schwer atmend, und ohne recht zu wissen, wie er heraufgekommen war, lag wieder auf dem vorzüglichen Stuhl in seiner Balkonloge, denn nach dem Essen war Liegekur bis zum Tee, – sogar die wichtigste des Tages und streng einzuhalten. Zwischen den undurchsichtigen Glaswänden, die ihn von Joachim einerseits und dem russischen Ehepaar andererseits trennten, lag er und dämmerte mit pochendem Herzen, indem er Luft durch den Mund holte. Als er sein Taschentuch benutzte, fand er es von Blut gerötet, aber er hatte nicht die Kraft, sich Gedanken darüber zu machen, obgleich er ja etwas ängstlich mit sich war und von Natur ein wenig zu hypochondrischen Grillen neigte. Wieder hatte er sich eine Maria Mancini angezündet, und diesmal rauchte er sie zu Ende, mochte sie nun wie immer schmecken. Schwindelig, beklommen und träumerisch bedachte er, wie sehr sonderbar es ihm hier oben ergehe. Zwei- oder dreimal ward seine Brust von innerem Lachen erschüttert über die schauderhafte Bezeichnung, deren Frau Stöhr sich in ihrer Unbildung bedient hatte.

Herr Albin
    Drunten im Garten hob sich das Phantasie-Fahnentuch mit dem Schlangenstabe zuweilen im Windhauch. Der Himmel hatte sich wieder gleichmäßig bedeckt. Die Sonne war fort, und sogleich war es fast unwirtlich kühl geworden. Die gemeinsame Liegehalle schien voll besetzt; es herrschte Gespräch und Gekicher dort unten.
    »Herr Albin, ich flehe Sie an, legen Sie das Messer fort, stecken Sie es ein, es geschieht ein Unglück damit!« klagte eine hohe, schwankende Damenstimme. Und:
    {122} »Bester Herr Albin, um Gottes willen, schonen Sie unsere Nerven und bringen Sie uns das entsetzliche Mordding aus den Augen!« mischte sich eine zweite darein, – worauf ein blondköpfiger junger Mann, welcher, eine Zigarette im Munde, seitwärts auf dem vordersten Liegestuhl saß, in frechem Tone erwiderte:
    »Fällt mir nicht ein! Die Damen werden mir doch wohl erlauben, etwas mit meinem Messer zu spielen! Nun ja, gewiß, es ist ein besonders scharfes Messer. Ich habe es in Kalkutta einem blinden Zauberer abgekauft … Er konnte es verschlukken, und gleich darauf grub sein Boy es fünfzig Schritte von ihm entfernt aus dem Boden … Wollen Sie sehen? Es ist viel schärfer als ein Rasiermesser. Man braucht die Schneide nur zu berühren, und sie geht einem ins Fleisch wie durch Butter. Warten Sie, ich zeige es Ihnen näher …« Und Herr Albin stand auf. Ein Gekreisch erhob sich. »Nein, jetzt hole ich meinen Revolver!« sagte Herr Albin. »Das wird Sie mehr interessieren. Ein ganz verflixtes Ding. Von einer Durchschlagskraft … Ich hole ihn aus meinem Zimmer.«
    »Herr

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