Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Albin, Herr Albin, tun Sie es nicht!« zeterten mehrere Stimmen. Aber Herr Albin kam schon aus der Liegehalle hervor, um auf sein Zimmer zu gehen, – blutjung und schlenkricht, mit rosigem Kindergesicht und kleinen Backenbartstreifen neben den Ohren.
    »Herr Albin,« rief eine Dame hinter ihm drein, »holen Sie lieber Ihren Paletot, ziehen Sie ihn an, tun Sie es mir zuliebe! Sechs Wochen haben Sie mit Lungenentzündung gelegen, und nun sitzen Sie hier ohne Überzieher und decken sich nicht einmal zu und rauchen Zigaretten! Das heißt Gott versuchen, Herr Albin, mein Ehrenwort!«
    Aber er lachte nur höhnisch im Weggehen, und schon nach wenigen Minuten kehrte er mit dem Revolver zurück. Da kreischten sie noch alberner als vorhin, und man hörte, daß {123} mehrere von den Stühlen springen wollten, sich in ihre Decken verwickelten und stürzten.
    »Sehen Sie, wie klein und blank er ist,« sagte Herr Albin, »aber wenn ich hier drücke, so beißt er zu …« Ein neues Gekreisch. »Er ist natürlich scharf geladen«, fuhr Herr Albin fort. »In dieser Scheibe hier stecken die sechs Patronen, die dreht sich bei jedem Schuß um ein Loch weiter … Übrigens halte ich mir das Ding nicht zum Spaß«, sagte er, da er bemerkte, daß die Wirkung sich abnutzte, ließ den Revolver in die Brusttasche gleiten und setzte sich wieder mit übergeschlagenem Bein auf seinen Stuhl, indem er sich eine frische Zigarette anzündete. »Durchaus nicht zum Spaß«, wiederholte er und preßte die Lippen zusammen.
    »Wozu denn? Wozu denn?« fragten ahnungsvoll bebende Stimmen. »Entsetzlich!« schrie plötzlich eine einzelne, und da nickte Herr Albin.
    »Ich sehe, Sie fangen an, zu begreifen«, sagte er. »In der Tat, dazu halte ich ihn mir«, fuhr er leichthin fort, nachdem er trotz der überstandenen Lungenentzündung eine Menge Rauch eingezogen und wieder von sich geblasen hatte. »Ich halte ihn in Bereitschaft für den Tag, wo mir dieser Trödel hier zu langweilig wird und wo ich die Ehre haben werde, mich ergebenst zu empfehlen. Die Sache ist ziemlich einfach … Ich habe einiges Studium darauf verwandt und bin mit mir im reinen darüber, wie sie am besten zu deichseln ist.« (Bei dem Worte »deichseln« ertönte ein Schrei.) »Die Herzpartie scheidet aus … Der Ansatz ist mir da nicht recht bequem … Auch ziehe ich es vor, das Bewußtsein an Ort und Stelle auszulöschen, nämlich indem ich mir so einen hübschen kleinen Fremdkörper in dieses interessante Organ appliziere …« Und Herr Albin deutete mit dem Zeigefinger auf seinen kurzgeschorenen Blondschädel. »Man muß hier ansetzen –« Herr Albin zog den vernickelten Revolver wieder aus der Tasche und klopfte mit der {124} Mündung an seine Schläfe – »hier oberhalb der Schlagader … Sogar ohne Spiegel ist es eine glatte Sache …«
    Mehrstimmiger, flehender Protest ward laut, in den sich sogar ein heftiges Schluchzen mischte.
    »Herr Albin, Herr Albin, den Revolver weg, nehmen Sie den Revolver von Ihrer Schläfe weg, es ist nicht anzusehen! Herr Albin, Sie sind jung, Sie werden gesund werden, Sie werden ins Leben zurückkehren und sich der allgemeinen Beliebtheit erfreuen, mein Ehrenwort! Ziehen Sie nur Ihren Mantel an, legen Sie sich hin, decken Sie sich zu, machen Sie Kur! Jagen Sie den Bademeister nicht wieder fort, wenn er kommt, um Sie mit Alkohol abzureiben! Lassen Sie das Zigarettenrauchen, Herr Albin, hören Sie, wir bitten um Ihr Leben, Ihr junges, kostbares Leben!«
    Aber Herr Albin war unerbittlich.
    »Nein, nein,« sagte er, »lassen Sie mich, es ist gut, ich danke Ihnen. Ich habe noch nie einer Dame etwas abgeschlagen, aber Sie werden einsehen, daß es unnütz ist, dem Schicksal in die Speichen zu fallen. Ich bin im dritten Jahr hier … ich habe es satt und spiele nicht mehr mit, – können Sie mir das verargen? Unheilbar, meine Damen, – sehen Sie mich an, wie ich hier sitze, bin ich unheilbar, – der Hofrat selbst macht kaum noch ehren- und schandenhalber ein Hehl daraus. Gönnen Sie mir das bißchen Ungebundenheit, das für mich aus dieser Tatsache resultiert! Es ist wie auf dem Gymnasium, wenn es entschieden war, daß man sitzen blieb und nicht mehr gefragt wurde und nichts mehr zu tun brauchte. Zu diesem glücklichen Zustand bin ich nun endgültig wieder gediehen. Ich brauche nichts mehr zu tun, ich komme nicht mehr in Betracht, ich lache über das Ganze. Wollen Sie Schokolade? Bedienen Sie sich! Nein, Sie berauben mich nicht, ich habe

Weitere Kostenlose Bücher