Der Zaubercode
ihm und wünschen sich etwas.«
»Warum? Ist das eine Art Zauber?«
»Nein.« Blaise lachte leise. »Nur eine alter Brauch. Er existierte schon lange vor Lenard dem Großen und der Entdeckung der Zauberdimension. Ein Aberglaube, wenn du so möchtest.«
»Ich verstehe«, sagte Gala, auch wenn dieses Konzept sie ein wenig verwirrte. Warum würden Menschen einfach so Münzen in diesen Brunnen werfen? Wenn er nichts mit Zauberei zu tun hatte, war es doch offensichtlich, dass er keine Wünsche erfüllen konnte.
»Und das dort hinten ist der Zauberturm«, sagte Blaise und zeigte auf einen beeindruckenden Bau auf einem großen Berg. »Dort leben und arbeiten die größten Zauberer. Der Rat hält dort auch seine Treffen ab und in den ersten Etagen befindet sich die Zauberakademie, einer Ausbildungsstätte für die jungen Menschen. Die Garde der Zauberer ist ebenfalls dort untergebracht.«
Gala nickte und betrachtete neugierig den Turm. Er erinnerte an ein großes, herrschaftliches Schloss, welches durch seine Lage noch beeindruckender war. Wer auch immer es gebaut hatte, wollte damit etwas aussagen. Dieses Gebäude schrie schon fast Macht .
Als Gala es betrachtete, fiel ihr auf, dass etwas an dem Berg sie störte. Seine Form, dieser Steilhang auf der einen Seite — das unterschied sich alles zu sehr von der flachen Landschaft rundherum. »Ist dieser Berg natürlich?«, wollte sie von Blaise wissen und drehte ihren Kopf zu ihm, damit sie in anschauen konnte.
»Nein.« Er lächelte sie an. »Er wurde vor über zweihundert Jahren von den ersten Zaubererfamilien errichtet. Sie wollten einen Turm, der uneinnehmbar war, also erarbeiteten sie einen Zauber, der die Erde anhob und erschufen diesen Berg. Das Gebäude als solches wird auch von allen möglichen Zaubersprüchen beschützt.«
»Warum haben sie das gemacht? Hatten sie Angst vor den normalen Menschen?«
»Ja«, bestätigte Blaise. »Und die haben sie immer noch. Es ist schade, aber die Erinnerung an die Revolution der Zauberer ist immer noch frisch in den Köpfen der meisten Menschen.«
Gala nickte wieder und erinnerte sich an das, was sie in einem von Blaises Büchern gelesen hatte. Vor zweihundertfünfzig Jahren wurde die ganze Gesellschaftsstruktur Kolduns durch eine blutige Revolution auseinandergerissen. Der alte Adel war fett und faul geworden, isolierte sich von dem ansteigenden Unmut seiner Bevölkerung. Der König war einer der Schlimmsten gewesen. An ihm waren die Veränderungen durch die Aufklärung und die Entdeckung von etwas, das die Zauberdimension genannt wurde, völlig vorbeigegangen.
Lenard — oder Lenard der Große, wie er später genannt werden würde — war ein brillanter Erfinder, der es, neben seinen anderen Leistungen, vollbrachte, in einen fremden Ort einzudringen, der die Macht hat, die Wirklichkeit zu verändern. Dieser Vorgang ähnelte der Magie der Märchen. Das Ganze war natürlich kein Märchen, und das, was in der modernen Ära als Magie bekannt wurde, war nichts weiter als eine komplexe und kaum verstandene Interaktion zwischen der Zauberdimension und der physischen Dimension. Aber seine Entdeckung änderte alles und verhalf einer neuen Elite zu ihrem Aufstieg: den Zauberern.
Es begann mit harmlosen kleinen Zaubern — mündliche Sprüche in einer komplexen, geheimen Sprache die nur die intelligentesten, mathematisch begabtesten Individuen meistern konnten. Einige der ersten Zauberer waren Adelige, aber viele waren es nicht. Jeder, unabhängig seiner Abstammung, konnte in die Zauberdimension eindringen und Lenard ermutigte jeden, Mathematik und die Sprache der Magie zu studieren, um die Gesetzte der Natur verstehen zu können. Er ging sogar so weit, eine Schule zu öffnen, einen Ort, der später als die Akademie der Zauberer bekannt wurde, in der viele grundlegende magische und wissenschaftliche Entdeckungen getätigt wurden.
Innerhalb eines Jahrzehnts begannen die Zauberei und das Wissen durch die Aufklärung das Leben in Koldun grundlegend zu beeinflussen. Die Zauberer entdeckten einen Weg, ohne Essen überleben zu können, sich durch Teleportation innerhalb eines Augenblickes von einem Ort zum anderen bewegen zu können und sogar Schlachten mit Zaubersprüchen zu schlagen. Nach kurzer Zeit schien das jahrhundertealte feudale System mit den vererbbaren Titeln denjenigen, die die Realität mit einigen wenigen sorgfältig ausgewählten Sätzen verändern konnten, überholt zu sein. Ideen von Gerechtigkeit und Fortschritt,
Weitere Kostenlose Bücher