Der Zauberer von Stonehenge
Rhythmus. Er verlor eine Scherbe, so daß er nicht mehr kontrollierbar war. Das ist sehr schlecht für mich. Ich mußte aber die Scherbe finden, denn ich wollte ihn kontrollieren. Wenn er nämlich außer Kontrolle gerät, entmaterialisiert er sich und erscheint an Orten, die gar nicht für ihn bestimmt sind. Er überwindet Entfernungen und Zeiten, taucht plötzlich irgendwo auf und bringt die Menschen sehr in Verdrückung, weil sie nicht wissen, was sie noch unternehmen sollen. Das verstehst du doch?«
»Überhaupt nicht.«
»Hm.« Gallico räusperte sich. »Mein lieber Grover. Wer immer die Spiegelscherbe besitzen mag, tut sich damit keinen Gefallen. Er beschwört eine Gefahr herauf.«
Phil überlegte. Die Erklärungen hatte er gehört, sie aber nicht so recht begriffen.
»Was haben wir heute für ein Datum?« fragte Gallico.
»Den zwanzigsten Dezember!«
»Genau. Drei Tage vor Weihnachten.« Gallico lachte. »Für die meisten Menschen sind sie nächsten Lage ungemein wichtig, für mich aber nur der nächste. Dort wird sich alles entscheiden. Morgen ist die Wintersonnenwende. Für mich das große Datum. Bis dahin muß ich die Spiegelscherbe besitzen.«
Grover nickte. »Vielleicht sollten Sie selbst einmal versuchen, das Stück zu finden.«
»Nein, das brauche ich nicht.«
»Aber…«
»Kein Aber mehr.« Gallicos Stimme klang scharf und ungeduldig, als ersieh erhob. »Ich will dir etwas zeigen, mein Freund. Es ist ein Geheimnis, das ich mit dir teilen möchte, mein großes Geheimnis.«
Grover schüttelte den Kopf. »Bitte, Sir, das ist nicht nötig. Ich möchte es nicht.«
»Doch, du mußt es sehen, um zu verstehen und zu begreifen. Dein Denken muß ein völlig anderes werden. Du mußt umkehren. Du darfst nicht so egoistisch sein.«
»Sir, ich bin ein Penner, ein Obdachloser, ein Streuner, nicht mehr wert als ein Straßenhund. Das hat man mir schon oft genug zu verstehen gegeben. Ich kann das, was Sie mir anbieten, einfach nicht annehmen. Können Sie das denn nicht begreifen?«
»Ich begreife alles, mein Freund. Aber ich habe dich dazu auserwählt. Es gibt keine andere Möglichkeit. Tut mir leid.« Gallico lächelte. Die Augen verschwammen dabei hinter seinen dunklen Brillengläsern.
»Solltest du tatsächlich daran denken, diesen Raum hier ohne meine Einwilligung zu verlassen, wird es dir schlecht ergehen. Du stehst noch in meiner Gunst, vergiß das nicht.«
»Ja, natürlich.«
»Du darfst vorgehen.«
»Wohin?«
Gallico lächelte kalt. »Siehst du nicht die schmale Tür an der rechten Seite? Sie ist offen, extra für dich.« Er lachte. Dieses Geräusch hinterließ auf dem Rücken des Obdachlosen einen Schauer. Seine Hände waren schweißnaß geworden. Er zögerte noch und sah gleichzeitig, daß es für ihn keine andere Chance gab, als den Befehlen des Mannes zu folgen. Er mußte gehen, sonst…
»Öffne die Tür!«
Phil Grover spürte das Zittern in den Knien. Er wollte seine Hand in die rechte Manteltasche stecken, um dort die Scherbe zu umfassen, aber auch das ließ er bleiben.
Statt dessen zog er die Tür auf, trat über die Schwelle und hinein in die Düsternis, denn der Raum besaß keine Fenster. Dafür eine Lampe, die aufstrahlte, als Gallico hinter ihm einen Schalter umdrehte.
»Da ist er!«
Grover schaute nach vorn und hatte das Gefühl, in der Szenerie eines utopischen Films zu stehen.
Sein Blick war auf ein großes Bett gefallen, auf dem eine Gestalt lag, deren Körper sich einzig und allein aus zahlreichen Spiegelscherben zusammensetzte…
***
Sprechen konnte Phil Grover nicht. Er vernahm hinter sich das scharfe Atmen des Heimleiters und hörte danach die flüsternde Stimme. »Das ist er. Das ist der Zauberer von Stonehenge. Die Person, die fast vollkommen ist. Aber nur fast, begreifst du jetzt?«
»Nein, nie.«
»Dann will ich es dir sagen. Dem Zauberer fehlte ein Teil. Er hat es verloren. Du kannst die Stelle leider nicht sehen, weil sie sich an seinem Rücken befindet. Aber er braucht die eine Scherbe, um vollkommen zu werden. Er lebt, doch er lebt nicht so, wie ich es gern gehabt hätte. So sieht es also aus.«
»Ja, ich verstehe.«
»Dann gib mir die Scherbe, die du gefunden hast, mein Freund. Noch ist Zeit!«
Gallico stand jetzt dicht hinter Grover. Die beiden berührten sich fast. Der Heimleiter legte auch eine Hand auf Phils Schulter und verstärkte den Druck.
Phil trat vor.
»Willst du ihn dir ansehen?«
»Gern.« Die Antwort gab er mit zitternder Stimme. »Das
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