Der Zauberhut
allgemeinen und viel zu großen Interesses. Die Vorstellung, daß jemand freiwillig fünfzig Jahre der Langeweile aufgab, um Abenteuer zu erleben, erschien ihm grauenhaft. Fünf Jahrzehnte hätten ihm Zeit genug gegeben, Eintönigkeit und Monotonie zu einer wahren Kunst zu entwickeln. Wehmütig dachte er an all die Dinge, mit denen er sich nicht befassen würde…
»Kennst du irgendwelche Lampendocht-Witze?« fragte er und machte es sich auf dem Sand gemütlich.
»Ich glaube nicht«, antwortete Nijel höflich und klopfte an einen Stein.
»Ich kenne Hunderte. Und sie sind alle sehr spaßig. Zum Beispiel: Weißt du, wie viele Trolle notwendig sind, um einen Lampendocht zu wechseln?«
»Dieser Stein bewegte sich«, stellte Nijel fest. »Sieh nur, es ist eine Art Tür. Komm, hilf mir.«
Mit aller Kraft preßte er sich an die Platte, und seine Bizeps zeichneten sich so deutlich ab wie Erbsen an einem Bleistift.
»Vermutlich ein Geheimgang«, sagte er. »Aber die Tür klemmt. Wie wär’s, wenn du von deiner Magie Gebrauch machtest?«
»Möchtest du nicht den Rest des Witzes hören?« fragte Rincewind gequält. In der Grube war es warm und trocken, und es drohte keine unmittelbare Gefahr – wenn man einmal von der Schlange absah, die sich Mühe gab, harmlos und unauffällig zu wirken. Gewisse Leute verlangten ständig mehr, als ihnen das Schicksal zubilligte.
»Derzeit ziehe ich es vor, darauf zu verzichten«, erwiderte Nijel. »Um ganz ehrlich zu sein: Magische Unterstützung wäre mir lieber.«
»Als Witzeerzähler bin ich weitaus besser«, sagte Rincewind kummervoll. »Weißt du, Magie und ich… Wir sind wie Feuer und Wasser, wenn du verstehst, was ich meine. Um es anders auszudrücken: Zauberei erfordert weitaus mehr als nur einen ausgestreckten Zeigefinger und Worte wie Abraka…«
Irgend etwas krachte. Ein dicker Blitz aus oktarinem Licht schlug in die Steinplatte und zerfetzte sie. Heiße Granitsplitter rasten wie Schrapnellgeschosse umher, und es regnete Erstaunen und Verblüffung.
Nach einer Weile stand Nijel auf und strich über die rauchenden Stellen an seiner ledernen Weste.
»Ja«, sagte er und klang wie jemand, der versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Tja. Nun. Na schön. Wir sollten warten, bis sich der Stein ein wenig abgekühlt hat, nicht wahr? Anschließend könnten wir, äh, aufbrechen.«
Er räusperte sich und hüstelte leise.
»Nnh«, machte Rincewind. Er starrte auf seinen Zeigefinger herab, streckte ihn von sich und bedauerte es offenbar, keine längeren Arme zu haben.
Nijel spähte in die qualmende Öffnung.
»Der geheime Gang führt in eine Art Kammer«, sagte er.
»Nnh.«
»Nach dir«, fügte Nijel hinzu und gab Rincewind einen vorsichtigen Stoß.
Der Zauberer taumelte, stieß mit dem Kopf an einen Felsvorsprung und schien es nicht einmal zu merken. Wie ein Schlafwandler wankte er durchs Loch.
Nijel klopfte an die Wand und runzelte die Stirn. »Spürst du etwas?« fragte er. »Hat es irgend etwas zu bedeuten, daß die Mauer zittert?«
»Nnh.«
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Nnh.«
Nijel preßte das Ohr an den Stein. »Ich höre ein seltsames Geräusch.
Ein dumpfes Summen.« Staub löste sich vom Mörtel weiter oben und rieselte auf ihn herab.
Unmittelbar darauf krochen einige dicke Granitbrocken aus den Wänden der Grube und fielen mit einem leisen, unheilverkündenden Pochen in den Sand.
Rincewind achtete nicht darauf und stolperte durch den Tunnel. Gelegentlich schnaufte und ächzte er schockiert, und die ganze Zeit über ignorierte er schwere Steine, die ihn nur um wenig Zentimeter verfehlten. Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß ihn einige trafen, an Schultern und Armen, manchmal auch am Kopf, aber er stapfte ungerührt weiter.
Wenn Rincewind nicht so sehr auf sein Entsetzen konzentriert gewesen wäre, hätte er vermutlich geahnt, was nun geschah. Die Luft fühlte sich schmierig an und roch wie glühendes Blech. Blasses Regenbogenglühen glitt über alle Ecken und Kanten. Irgendwo in der Nähe ballte sich magische Energie zusammen, eine enorme thaumaturgische Kraft, die nach einer Möglichkeit suchte, sich zu entladen.
Rincewind war alles andere als ein begabter Zauberer, aber unter diesen besonderen Umständen konnte man ihn mit einem kupfernen Leuchtturm vergleichen, über dem ein Gewitter tobte.
Nijel stürmte durch wallende Staubwolken und prallte gegen den Zauberer, der in einem oktarinen Halo stand.
Rincewind bot einen schrecklichen Anblick.
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