Der Zauberhut
zweite Mann hielt den augenblicklichen Wüstenrekord in Unerschütterlichkeit und lächelte stumm vor sich hin, bis er spürte, wie jemand – etwas – an seinem Umhang zupfte. Das Lächeln blieb, aber der Rest des Gesichts wollte plötzlich nichts mehr damit zu tun haben.
Truhe litt an Liebeskummer und hatte eine typisch menschliche Entscheidung getroffen: Sie wollte sich betrinken. Natürlich fehlte ihr Geld für die Zeche, und außerdem konnte sie keine direkte Bestellung aufgeben, aber trotzdem fiel es ihr nicht weiter schwer, sich verständlich zu machen.
Der Wirt verbrachte einen langen Abend damit, Untertassen mit Orakh zu füllen und sie auf den Boden zu stellen – bis Truhe schließlich durch die Wand taumelte.
Stille herrschte in der Wüste. Nun, normalerweise war sie nicht still. Normalerweise hörte man zirpende Grillen, summende Moskitos und das leise Rauschen von Flügeln, wenn Nachtvögel über den abkühlenden Sand glitten. Doch in dieser Nacht rührte sich überhaupt nichts – bis auf einige Dutzende Nomaden, die ihre Zelte abbrachen und sich hastig auf den Weg machten.
» I ch habe es meiner Mutter versprochen«, wiederholte der junge Mann. »Weißt du, ich erkälte mich leicht.«
»Vielleicht solltest du dir, äh, mehr überziehen. Mehr Kleidung, meine ich. Ich meine…«
»O nein, das geht doch nicht. Ich muß mich mit all diesen Ledersachen begnügen.«
»Mit all diesen?« erwiderte Rincewind skeptisch. »Einen solchen Ausdruck würde ich eigentlich nicht verwenden. Nein, all diese erscheint mir kaum angemessen. Warum mußt du sie tragen?«
»Damit die Leute wissen, daß ich ein barbarischer Held bin.« Rincewind lehnte sich mit dem Rücken an die stinkende Wand der Schlangengrube und musterte den jungen Mann. Seine Augen wirkten wie gekochte Weintrauben, und über ihnen wuchs ein dichtes Gestrüpp aus rotem Haar. Auf dem Schlachtfeld des Gesichts fand ein erbitterter Kampf zwischen eingeborenen Sommersprossen und einem angreifenden Akneheer statt.
»Ein barbarischer Held«, murmelte er.
»An meiner Kleidung gibt es doch nichts auszusetzen, oder? Das Leder war ziemlich teuer…«
»Oh, damit ist soweit alles in Ordnung, aber… Wie heißt du, Junge?«
»Nijel…«
»Weißt du, Nijel…«
»Nijel der Zerstörer«, fügte der junge Mann hinzu.
»Weißt du, Nijel…«
»… der Zerstörer…«
»Na, schön, Nijel der Zerstörer…«, sagte Rincewind verzweifelt. »Sohn des Lebensmittelhändlers Hasenfuß…«
»Was?«
»Man muß irgendeinen Vater haben«, erklärte Nijel. »Es steht hier drin…« Er drehte sich halb um, griff in seine Ledertasche und holte ein dünnes, abgegriffenes und schmuddeliges Buch hervor.
»In einem Abschnitt wird erläutert, wie wichtig es ist, den richtigen Namen zu wählen«, murmelte er.
»Wie bist du in diese Grube geraten?«
»Nun, ich wollte etwas aus Krösus’ Schatzkammern stehlen, aber im kritischen Augenblick erlitt ich einen Asthmaanfall«, sagte Nijel und blätterte nervös durch das Buch.
Rincewind beobachtete die Schlange, die noch immer versuchte, ihnen nicht im Weg zu sein. Sie lebte schon seit einer ganzen Weile in der Grube und wußte daher, wann sich Schwierigkeiten anbahnten. Das Reptil gab sich große Mühe, möglichst freundlich zu sein und keinen Groll zu schaffen. Es erwiderte Rincewinds Blick und zuckte mit den Schultern – eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, daß Schlangen gar keine Schultern haben.
»Seit wann bist du ein barbarischer Held?«
»Ich stehe erst am Anfang meiner Karriere. Ich wollte schon immer ein Barbarenheld sein und dachte mir: Fang ruhig an; irgendwann kommst du in Übung und lernst alle notwendigen Dinge.« Nijel beäugte Rincewind kurzsichtig. »Daran gibt es doch nichts auszusetzen, oder?«
»Tja, das Leben eines barbarischen Helden ist ohnehin ziemlich schwer«, entgegnete Rincewind behutsam.
»Stell dir nur einmal vor, während der nächsten fünfzig Jahre Lebensmittel zu verkaufen«, brummte Nijel und schauderte entsetzt.
Rincewind dachte darüber nach.
»Geht es dabei auch um Kopfsalat?« fragte er.
»O ja«, bestätigte Nijel und legte das geheimnisvolle Buch in die Tasche zurück. Dann ließ er den Blick über die Grubenwände schweifen.
Rincewind seufzte. Er mochte Kopfsalat. Er war so unglaublich langweilig. Viele Jahre lang hatte er vergeblich nach Langeweile gesucht. Wenn er glaubte, sie endlich gefunden zu haben, wurde sein Leben immer zum Mittelpunkt eines
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