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Der Zauberstein von Brisingamen

Der Zauberstein von Brisingamen

Titel: Der Zauberstein von Brisingamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Garner
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siegte der Instinkt über ihre verwirrten Sinne. Sie rannten zurück durch das Tal und stürzten in den Buchenwald. Knochenfinger krümmten sich, und schwarze Seile zischten wie Schlangen, aber sie waren vorbei und rannten, totes Laub aufwirbelnd, den Abhang hinunter.
    «Halt an, Sue!», schrie Colin.
    Er erkannte, dass ihre einzige Hoffnung zu entkommen darin bestand, in offenes Gelände und auf den Pfad zu gelangen, der vom Stormy Point zur Straße führte, wo sie mit ihren längeren Beinen die Verfolger abhängen konnten, und selbst dies schien nur eine geringe Chance zu bieten.
    «Halt an, Sue! Wir dürfen… nicht… noch weiter…
    runterlaufen! Müssen… irgendwie… Stormy Point… finden!»
    Die ganze Zeit suchte er nach einem Anhaltspunkt in der Landschaft, den er kannte, denn in seiner Angst, umgeben von der Dämmerung, hatte er die Orientierung verloren; er wusste nur noch, dass sie nach oben und nicht nach unten laufen mussten.
    Auf einmal sah er durch die Bäume, wonach er suchte: Etwa dreißig Meter über ihnen und zu ihrer Rechten zeichnete sich ein zahnförmiger Felsbrocken gegen den Himmel ab: Seine besondere Form war ihm aufgefallen, als sie daran auf einem Pfad vom Stormy Point her vorbeigekommen waren!
    «Der Fels da! Zu dem Fels da müssen wir!»
    Susan blickte in die Richtung, die er wies, und nickte.
    Sie begannen sich den Berg hochzuquälen und tasteten in dem kniehohen Meer von totem Laub mit Händen und Füßen nach sicherem Halt. Ihre überstürzte Flucht hatte sie quer über den Hang geführt, und ihr Aufstieg brachte sie nun aus dem Tal heraus, sonst wären sie nicht mit dem Leben davongekommen.

    Die Verfolger waren leicht über die Oberfläche des Laubs dahingeglitten, hatten dann aber Schwierigkeiten, ihren schnellen Lauf abzubremsen, als sie den raschen Richtungswechsel wahrnahmen. Nun jagten sie querfeldein, um den Kindern den Weg abzuschneiden, wobei sie sich im Laufen dicht über den Boden beugten.
    Colin und Susan verdoppelten ihre Anstrengungen. Langsam gewannen sie an Höhe, bis sie mit den Verfolgern auf gleicher Ebene waren, dann über ihnen – und damit war die Gefahr, dass ihnen der Weg abgeschnitten wurde, überstanden. Jedoch betrug ihr Vorsprung bloße zehn Meter und verkürzte sich zusehends, bis Colins Finger, die in den Blättern wühlten, sich um etwas Festes schlossen. Es war ein abgefallener Ast, noch ganz buschig und voller Zweige; er riss ihn vom Boden hoch und schleuderte ihn direkt in die erste Verfolgermeute, die darauf Hals über Kopf und kreischend in die Nachdrängenden und in ein Gewirr von Seilen und Netzen stürzte.
    Dies brachte Colin und Susan kostbare Meter und Sekunden ein, obwohl ihre Flucht noch immer Stoff für einen Albtraum abgeben konnte; denn unter ihren Füßen wirbelten unsichtbare Zweige, und bleiern zerrte Laub an ihren Füßen. Endlich aber zogen sie sich auf den Pfad hoch; ihre Herzen pochten, und sie rangen nach Luft.
    «Komm, Sue!», ächzte Colin. «Lauf so schnell du kannst! Sie sind… nicht weit… hinter… uns!»
    Die Angst verlieh den Kindern Flügel, und sie liefen so schnell sie nur konnten den Pfad entlang. Hoch über ihren Köpfen schrie dreimal gellend ein Vogel, und mit einem Mal war die Luft vom schnellen, aufdringlichen Tönen eines Gongs erfüllt. Der Klang schien aus großer Entfernung zu kommen, doch umgab er sie vollständig, ließ die Luft und den Boden vibrieren.

    Dann kamen sie aus den Bäumen heraus und zum Stormy Point. Aber ihre Erleichterung währte nicht lang; denn wenn sie bis dahin vor etwa zwanzig Verfolgern geflohen waren, sahen sie sich nun etlichen hundert dieser Wesen gegenüber, die wie Ameisen aus ihrem Bau am Teufelsgrab quollen.
    Entsetzt hielten Colin und Susan inne: Damit war ihre letzte Hoffnung, die Straße zu erreichen, geschwunden. Der Weg war ihnen hinten und vorne versperrt. Zu ihrer Linken war der schreckliche Buchenwald. Und zu ihrer Rechten fiel ein fast senkrechter Abhang zwischen Tannen in ein tiefes Tal. Aber dort lauerte wenigstens keine offensichtliche Gefahr, und so wandten sich die Kinder dorthin und flohen stolpernd und rutschend einen sandigen Weg hinab, bis sie schließlich auf dem Talgrund ankamen – nur um knietief in dem dicken schwarzen Schlamm und modrigen Laub des Sumpfes zu versinken, der sich unsichtbar von der gegenüberliegenden Seite des Tals bis hierhin erstreckte.
    Sie taumelten einige Schritte vorwärts, getrieben von den Geräuschen derer, die ihnen nur allzu

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