Der Zauberstein von Brisingamen
Stall, seine Lefzen verzogen sich grässlich. Gowther war verwirrt: Er hatte erwartet, dass er wie eine Rakete herausgeschossen käme.
«Mach schon, Bursche! Sonst entwischt er uns noch!»
Der Hund lief nervös und immer noch bellend vor und zurück, dann schlüpfte er knurrend, den Bauch immer dicht am Boden, durch das Türchen und verschwand in der Dunkelheit.
Eine Sekunde darauf steigerte sich das Knurren zu einem Kläffen und er kam ins Licht zurückgestürzt und landete winselnd vor Gowthers Füßen. Er zitterte am ganzen Körper.
Seine Verstörtheit war schon vorher offensichtlich gewesen, aber jetzt erkannte Gowther, dass der Hund, mehr als alles andere, völlig verängstigt war.
«Was ist los, Bursche? Wovor hast du Angst, na?», fragte Gowther sanft und ging in die Knie, um das bebende Tier zu beruhigen. Dann erhob er sich, ging mit entsichertem Gewehr auf das Tor zu und leuchtete das Gelände ab.
So weit er sehen konnte, war alles in Ordnung, doch Scamp blieb ihm, wenn auch ruhiger, noch immer mit Schaum vor dem Maul auf den Fersen. Alles in Ordnung, und doch war da etwas… Warte!… Er schnupperte… War das?…Ja!!!
Ein feuchtkalter Luftzug wehte Gowther ins Gesicht und mit ihm ein so fremdartiger, widerwärtiger und unerwarteter Geruch, dass sich sein Magen instinktiv vor Furcht zusammenzog. Es war der Geruch stehenden Wassers und modriger Fäulnis. Er drang ihm in die Nase und nahm ihm den Atem, und einen Augenblick lang kam es Gowther so vor, als würde er in den Abgrund eines dunklen Sumpfs gesogen, alt und böse zugleich. Keuchend und mit aufgerissenen Augen warf er sich herum, die Nackenhaare sträubten sich ihm. Im selben Moment aber verging der Gestank und war verschwunden. Er atmete wieder die reine Luft der Nacht.
«Bei Gott, Bursche, heut Nacht ist irgendwas Komisches im Gange! Das kam nicht von hier, so wie der Wind steht. Komm, wir woll’n mal ‘ne kleine Runde machen.»
Als Erstes ging er zum Pferdestall; dort traf er Prinz nervös stampfend und schweißbedeckt an.
«Ruhig, Bursche», sagte Gowther leise und strich mit seinen Händen über die zitternden Flanken des Pferds. «Brauchst keine Angst zu haben. Ganz still, werd dich mal abreiben.»
Prinz beruhigte sich allmählich, während Gowther ihn mit einem Stück trockener Sackleinwand abrieb, und auch Scamp wurde langsam ruhiger. Er trug den Kopf wieder hoch, und sein Gekläff schwächte sich zu einem dumpfen Brummen ab, das eher drohend als ängstlich klang – als versuchte er zu beweisen, dass er die ganze Nacht nichts anderes als Angriffslust verspürt hatte.
Ei, dachte Gowther, und das ist ein Hund, der sonst weder Mensch noch Tier fürchtet, das gefällt mir ganz und gar nicht!
Die Kühe im Kuhstall waren unruhig, aber nicht so aufgeregt wie Prinz, trotz ihrer rollenden Augen und schnüffelnden Nüstern.
«Na, hier ist nichts, Scamp, woll’n wir uns mal die Scheune ansehn.»
Sie gingen in die Nebengebäude, nirgends gab es irgendeinen Hinweis auf eine Störung, und nichts schien von irgendwem angerührt worden zu sein.
«Na, jetzt haben wir überall nachgesehn, das reicht ja wohl», sagte Gowther, «noch schnell eine Runde ums Haus, ‘ne Kanne Tee brauen, und dann wird’s auch schon Zeit, mit Melken anzufangen. Ach ja, die Gottlosen finden nie ihre Ruh!»
Am Himmel zeigte sich das erste bleiche Tageslicht, als er über den Hof ging. Bald war wieder der Morgen da, die Ängste der Nacht zu vertreiben. Schon begann Gowther sich ein wenig seiner Furcht zu schämen, und er war dankbar, dass niemand sie wahrgenommen hatte. Er grinste halbherzig. «Tja, ist schon lustig, was man sich so einbildet…» Da blieb er plötzlich mit einem Ruck stehen, während Scamp sich winselnd an seine Beine presste.
Hoch über Gowthers Kopf hatte es aus der Finsternis ein Mal geschrien, zu grell für eine menschliche, aber auch anders als eine tierische Stimme.
Zum zweiten Mal in dieser Nacht gefror Gowther das Blut in den Adern. Dann holte er tief Luft, schritt schnell und zielstrebig auf das Haus zu, blickte weder nach rechts noch nach links, weder nach oben noch nach unten, und Scamp wich keinen Zentimeter von seinen Fersen. Mit einer einzigen Bewegung hob er den Riegel, trat über die Schwelle, schloss die Tür und schob den Riegel wieder vor. Langsam drehte er sich um und sah zu Scamp hinunter.
«Ich weiß nicht, was du vorhast, Bursche, aber ich werd mir jetzt ‘ne starke Tasse Tee machen.»
Er zündete die Öllampe an,
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