Der zehnte Richter
schob er die Türen von Nathans Kleiderschrank auseinander und steckte seinen Kopf hinein. Endlich davon überzeugt, daß er tatsächlich allein war, trat er zu Nathans Schreibtisch, den Blick auf den kleinen Stapel sorgsam aufeinander geschichteter Papiere geheftet. Bemüht, kein Geräusch zu machen, sah Ben den Stapel durch. Eine Einkaufsliste, eine Liste mit Dingen, die zu erledigen waren, eine Geburtstagsliste, eine Liste mit interessanten Filmen. Nichts von Bedeutung. Nachdem er den Stapel in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt hatte, hielt Ben den Atem an und zog vorsichtig die mittlere Schreibtischschublade auf. Er hob den Einsatz heraus, der den vielen Kugelschreibern, Bleistiften und Radiergummis ihren Platz zuwies, und suchte langsam und systematisch nach irgendeinem Hinweis, der ihn auf Ricks Spur führen konnte. Dann schloß er die Schublade wieder, ging zu Nathans Nachttisch und griff nach dem Adreßbuch, um jeden Eintrag zu studieren und nachzugrübeln, wer sich hinter den Namen verbergen könnte.
»Was machst du da mit meinem Adreßbuch, verdammt noch mal?«
Erschrocken ließ Ben das Buch fallen, hob den Kopf und sah zu seinem Erstaunen Ober lachend in der Tür stehen. »Laß das!« brüllte Ben, hob das Adreßbuch wieder auf und legte es an seinen Platz zurück. »Du hättest dich mal sehen sollen. Du warst -«
»Ist jemand bei dir?« fragte Ben und stürzte aus Nathans Zimmer.
»Nein. Warum? Was ist denn los?«
»Hör mal, ich werde dir jetzt was erzählen, aber du mußt schwören, daß du niemandem auch nur ein Wort davon verrätst.«
»Ich schwöre.« Ober zog sich seine Krawatte vom Hals.
»Das ist kein Witz«, warnte Ben ihn. »Kein Wort zu irgendeiner Menschenseele. Nicht zu Nathan, nicht zu deinen Eltern -«
»Ich schwöre«, wiederholte Ober, während sie die Treppe zum Wohnzimmer hinuntergingen. »Jetzt leg schon los.«
Nachdem er seinem Freund die ganze Geschichte berichtet hatte, sagte Ben: »Also - was meinst du dazu?«
»Das ist doch ganz unmöglich.« Ober machte große Augen. »Erwartest du tatsächlich, ich würde glauben, daß Nathan in der Sache drinhängt?«
»Was soll ich denn sonst annehmen?«
»Unmöglich.« Ober sank auf einen der Stühle am Küchentisch. »Jetzt bist du total ausgerastet. Ich meine, wenn du von Eric geredet hättest, würde ich es ja verstehen. Den hab' ich letzte Woche sogar in deinem Zimmer im Papierkorb wühlen sehen.«
»Hast du ihn gefragt, was er da eigentlich tut?«
»Er sagte, jemand hätte ihm den Anzeigenteil weggenommen, und er wollte sehen, ob du es warst.« »Nein, ich war's nicht. Du hättest ihn zu Nathan schicken sollen - er ist derjenige von uns, dem nicht zu trauen ist.«
»Es ist absolut unmöglich, daß Nathan so etwas tut«, beharrte Ober. »Ich glaube das noch nicht mal ansatzweise.«
»Ich schon«, sagte Ben. »Und momentan ist das das einzige, worauf es ankommt. Lisa und ich versuchen -«
»Wie kommst du plötzlich darauf, Lisa alles anzuvertrauen?« unterbrach Ober ihn. »Du stellst mich zwar immer als beschränkt hin, aber du mußt ein kompletter Idiot sein, wenn du ihr wieder was erzählst.«
»Hör mal, ich vertraue ihr in keiner Weise.« Ben ging zum Spülbecken, drehte den Hahn auf und spritzte sich Wasser ins Gesicht. »Sobald sie das Büro verlassen hatte, hab' ich damit angefangen, auch über sie Erkundigungen einzuziehen.«
»Warum hast du ihr dann überhaupt etwas erzählt?«
»Ganz einfach: Erstens kann sie mir nicht wirklich schaden; und zweitens wirst du es zwar nie verstehen, aber sie hilft mir dabei, besser nachzudenken.«
»Das verstehe ich tatsächlich nicht.«
»Ich kann es wirklich nicht erklären, aber wenn ich die Dinge mit ihr zusammen durchgehe, habe ich die besten Ideen.«
»Es tut mir wirklich leid, daß ausgerechnet ich dich mit der Nase darauf stoßen muß, aber hier geht es nicht um irgendein Urteil, an dem ihr beide arbeitet. Es geht um dein Leben, mein Lieber.«
»Tatsächlich?« fragte Ben sarkastisch. »Und ich dachte, wir spielen nur eine Runde Mensch ärgere dich nicht . Verdammt.«
»Was du dir jetzt zusammenreimst, ist wirklich jenseits von Gut und Böse«, sagte Ober kopfschüttelnd.
»Schön, ich werde deine Ratschläge in Erwägung ziehen. Aber abgesehen davon: Hilfst du mir nun oder nicht?«
»Es überrascht mich, daß du mir vertraust. Schließlich könnte ich ja auch Dreck am Stecken haben.«
»Nimm's nicht persönlich, aber ich hab' darüber
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