Der zehnte Richter
kennenzulernen, Joel«, verkündete Ober mit tiefer Stimme.
»Was läuft denn da?« fragte Lisa.
»Nichts«, erwiderte Ben amüsiert. »Laß ihn mal.«
»Hey, wenn er dich in gute Laune versetzt, dann habe ich auch gute Laune«, erklärte Lisa.
»Na, was halten Sie denn von unserem Boß?« wollte Joel von Ober wissen.
»Er ist wirklich immer nett zu mir gewesen.«
»Tatsächlich?« mischte Ben sich ein. »Osterman ist nämlich normalerweise als das größte Arschloch am Gerichtshof verschrien.«
»Das hab' ich ja gemeint«, erklärte Ober. »Er war so nett, wie so ein Arschloch es nur sein kann.«
»Dein Freund hat gar nicht hier gearbeitet, oder?« sagte Joel zu Ben. Die Antwort war ein Grinsen. »Leck mich, Addison. Du hältst dich tatsächlich für witzig, oder?« »Nein, Joel«, erwiderte Ben. »Ich weiß, daß ich witzig bin.«
»Er ist wirklich sehr witzig«, bestätigte Ober.
Ein Summton unterbrach alle Gespräche im Saal. »Ist das der Zeitpunkt, an dem ich schweigen soll?« flüsterte Ober.
»Psssst«, machte Ben.
Der Gerichtsdiener ließ seinen Hammer ertönen, worauf sich alle Anwesenden erhoben. »Der ehrenwerte Vorsitzende und die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten!« verkündete der Gerichtsdiener. Unmittelbar darauf traten die neun Richter durch den burgunderroten Samtvorhang und begaben sich auf ihre Plätze.
»Echt cool«, flüsterte Ober.
Während die Richter sich niederließen, rief der Gerichtsdiener: »Hört! Hört! Hört! Wer ein Anliegen vor den ehrenwerten Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten zu bringen hat, wird aufgefordert, herbeizutreten und aufzumerken, denn der Gerichtshof läßt sich nun zur Sitzung nieder. Gott schütze die Vereinigten Staaten und dieses ehrenwerte Gericht!« Wieder ertönte der Hammer, und alle Anwesenden nahmen Platz.
Vom zentralen Sessel der Richterbank ergriff der Vorsitzende Richter Osterman das Wort. »Unsere heutige Tagesordnung ist umfangreicher als gewöhnlich. Wir werden folgende Urteile verkünden: Doniger gegen Lubetsky, Anderson gegen die Vereinigten Staaten, Maryland gegen Schopf, Galani gegen Zimmerman, und Grinnell and Associates gegen New York. Richter Blake wird die ersten drei Urteile verlesen, Richter Veidt die übrigen.«
»Mach's dir gemütlich«, flüsterte Ben. »Blake wird sich wie gewohnt viel Zeit lassen.«
»Vielen Dank, Herr Vorsitzender«, sagte Blake mit seinem typischen Südstaatenakzent. Dann machte er sich mit qualvoller Gemächlichkeit daran, die erwähnten Entscheidungen des Gerichtshofs von seinem Blatt abzulesen.
»Wie entscheidet man denn, wer spricht?« fragte Ober.
»Das kommt darauf an«, flüsterte Ben. »In diesem Fall hat Blake die ersten drei Voten verfaßt, während Veidt bestimmt wurde, weil seine Stimme bei den letzten beiden Urteilen von entscheidender Bedeutung war.«
Als Blake geendet hatte, ergriff Ostermann wieder das Wort. »Vielen Dank, Richter Blake. Richter Veidt ...«
Veidt zog sein Mikrophon näher an seinen Mund heran und verkündete das erste der beiden Urteile. Veidt war ein kleiner Mann mit pechschwarz gefärbtem Haar und hageren Zügen. Er war für seine Arbeiten über den juristischen Alltag in den Vereinigten Staaten bekannt, was ihm einen guten Ruf unter Rechtswissenschaftlern eingetragen hatte, aus Sicht der Medien jedoch völlig uninteressant war. Obwohl Ben gehört hatte, daß Veidt eines der sympathischeren Mitglieder des Gerichtshofs sei, schien er in diesem Augenblick nur Haß für ihn empfinden zu können.
»Wie geht's dir denn?« fragte Lisa, der Bens fahles Gesicht aufgefallen war.
»Ganz gut«, flüsterte Ben zurück.
Die Hand noch immer am Mikrophon, räusperte Veidt sich, um das zweite Urteil zu verkünden. »In der Angelegenheit Grinnell and Associates gegen New York sind auch wir der Ansicht, daß die von den Klägern zu tragende Belastung erheblich ist. Jedoch darf nicht unterschätzt werden, welche Bedeutung der Erhaltung der historischen Wahrzeichen unseres Landes zukommt. Dieser historische Wert der Liegenschaft, verbunden mit den begrenzten Erwartungen der Kläger zur Zeit ihres Erwerbs, hat uns zu dem Schluß geführt, daß die von der Stadt New York erlassene Verordnung zum Schutz historischer Gebäude keine Enteignung der Kläger darstellt. Wir weisen daher die Klage ab und heben das Urteil der Berufungsinstanz auf.«
Als der Gerichtsdiener seinen Hammer ertönen ließ, um die Sitzung zu schließen, strömten die Zuschauer
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