Der zehnte Richter
sich um halb zehn bereit, in den Gerichtssaal hinunterzugehen, um der Urteilsverkündung beizuwohnen. »Ich glaube immer noch, daß du dich stellen solltest«, sagte Lisa, während sie ihre beige und schwarz gestreifte Kostümjacke anzog.
»Auf keinen Fall.« Ben zog den Knoten seiner blaugoldenen Krawatte enger.
»Warum nicht? Ich bin sicher, daß sie dich mit Samthandschuhen anfassen.«
»Darauf kommt es nicht an. Was mich betrifft, ist das einfach keine vernünftige Alternative. Selbst wenn ich nicht hinter Gitter komme, müssen sie mich hier rausschmeißen. Und wenn das geschieht, kannst du mir glauben, daß ich mich mit Zähnen und Klauen dagegen wehre. Ich lehne es glattweg ab, mich denen freiwillig auf einem silbernen Tablett zu servieren.«
»Es ist dein Leben. Ich bin nur der Meinung, daß du einen entscheidenden Fehler machst.«
Ein leichtes Klopfen an der Tür unterbrach die Auseinandersetzung.
»Nur herein«, rief Ben.
Die Tür ging auf, und Nancy trat ein. »Ben, dein Besuch ist da.«
Hinter Nancy tauchte Ober auf und kam mit ausgestreckten Armen ins Zimmer. »Schau, schau! Dies also ist der Ort, an dem die wirklich großen Jungs spielen, was?« Er strich mit den Händen über alle Gegenstände, an denen er vorbeikam: über die Bücher auf Lisas Schreibtisch, ihren Monitor, Bens Bleistiftspitzer und sein Telefon.
Ben deutete aufs Sofa. »Es war wahrscheinlich nicht ganz einfach, hier hereinzukommen.«
»Ganz im Gegenteil.« Ober zog seinen Mantel aus und warf ihn aufs Sofa. »Es war ein Kinderspiel. Der Wachmann unten hat erklärt, der Gerichtssaal sei heute schon voll. Da hab' ich ihm gesagt, ich hätte einen Termin bei Ben Addison. Na, ich kann euch sagen, der Mann hat seine Liste konsultiert, und - zack - war ich schon drin, und zwar als erster in der Schlange. Dann hat man mich durch den Metalldetektor geschleust, worauf der letzte Wachmann mich hierhergeführt hat.« Ober sah sich um. »Das Zimmer ist wirklich hübsch eingerichtet. Erinnert irgendwie ans Weiße Haus - alles ist alt und seriös.«
»Wir sind im Obersten Gerichtshof«, bemerkte Lisa. »Vielleicht hast du schon mal davon gehört.«
»Hat irgend jemand was gesagt?« Ober sah Ben an. »Ich dachte, ich hätte 'ne Spinatwachtel flöten hören, aber das muß wohl pure Einbildung gewesen sein.«
»Ober, du hast mir doch was versprochen«, ermahnte Ben ihn.
»Schön, schön, ich will ein lieber Junge sein.« Ober setzte sich aufs Sofa. »Wie geht's dir heute, Lisa?«
»Ich wünsch' dir 'nen Furunkel ans Hirn.«
»Ach, vielen Dank. Den letzten hab' ich eben erst entfernen lassen.« Ober faßte sich ans Haar. »Das ist ein tolles Sofa«, bemerkte er dann, während er auf den gefederten Polstern herumhüpfte. »Und ihr habt's wirklich ruhig hier. Habt ihr also schon mal ... ihr wißt schon ... spät abends, wenn die Putzfrau schon gegangen war ...?«
»Könntest du bitte etwas Anstand zeigen«, flehte Ben.
»Darf ich dich mal was fragen?« sagte Lisa zu Ober. »Wie kannst du bloß so verdammt vergnügt sein, wenn dir klar sein muß, daß dein Freund vor Angst fast stirbt?«
»Auf solche Bemerkungen kann ich verzichten«, wehrte sich Ober. »Du hilfst Ben auf deine Weise, und ich helfe ihm auf meine.«
»Jetzt hört doch endlich auf.« Ben ging zur Tür. »Gehen wir hinunter.«
In der Großen Halle wand sich die langsam kleiner werdende Menge durch zwei Metalldetektoren, während Ben, Lisa und Ober direkt in den Gerichtssaal gingen. »Er gehört zu uns«, erklärte Ben einem Wachmann, der Ober mißtrauisch musterte.
»Das ist ja phantastisch«, sagte Ober, als er den mit Zuschauern, Reportern und Gerichtsangestellten gefüllten Saal betrat.
»Wenn man Pomp schätzt, dann haben wir was zu bieten«, bemerkte Ben, während sie zu einem abgeteilten Bereich auf der rechten Seite des Saales gingen.
»Sind alle Leute vor uns wissenschaftliche Mitarbeiter?« fragte Ober, dem aufgefallen war, daß alle ungefähr sein Alter hatten. Ben nickte. »Nur Assistenten und deren Freunde dürfen sich hier niederlassen.«
Die restlichen Zuschauer wurden in den Saal geführt. »Ben, ich muß zugeben, daß der Gerichtshof noch genauso aussieht wie damals, als ich hier gearbeitet habe«, sagte Ober plötzlich.
Der Mann vor ihm drehte sich um. »Bei wem waren Sie denn?«
»Bei Osterman«, antwortete Ober.
»Beim dem bin ich gerade!« Obers neuer Freund war sichtlich begeistert. Er gab ihm die Hand. »Ich bin Joel.«
»Schön, dich
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