Der zehnte Richter
fertigen Urteilsbegründungen vorab an sämtliche Richter verteilt werden, damit sie genau sehen können, wofür sie sich eigentlich entschieden haben.«
»Und da ist Veidt umgefallen«, schloß Ober.
»Richtig«, bestätigte Ben.
»Mein Gott, ich glaube, er kapiert tatsächlich etwas.« Lisa klopfte Ober lobend auf den Rücken.
Ben konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Als Veidt Ostermans Schriftsatz sah, ist ihm klargeworden, daß die Entscheidung einen weiteren Eingriff darstellte, als das in seinem Sinne war. Osterman hatte im Grunde ein wütendes Pamphlet gegen jede Einmischung von staatlicher Seite formuliert. Also hat Veidt ihm erklärt, er werde abspringen, wenn das Ganze nicht umfassend redigiert würde. Und schließlich hat er sogar erkannt, daß es gar keine Möglichkeit gab, nur einen kleinen Schritt zu tun. Weshalb er zu uns übergelaufen ist. Mit Hilfe dieser zusätzlichen Stimme ist unsere abweichende Meinung dann zur Mehrheitsmeinung geworden.«
»Das passiert ziemlich häufig«, mischte sich Lisa ein. »Bei der mündlichen Abstimmung sagen die Richter das eine, doch wenn es darum geht, es zu Papier zu bringen, stimmen sie nicht mehr zu und wechseln zur Gegenpartei über.«
»Moment mal - was bedeutet das für Rick?«
Ben legte seine Füße auf den Schreibtisch. »Sagen wir's mal so: Er hat soeben eine Menge Geld für ein höchst fragwürdiges Anwesen ausgegeben.«
»Ist das Ding denn wertlos?«
»Wertlos ist es nicht, aber der einzige Grund, der den Preis derartig in die Höhe getrieben hat, war die Aussicht, daß die Eigentümer dort ein riesiges, profitables Einkaufszentrum hinklotzen könnten. Und wie du meiner Unterhaltung mit Mr. Widerlich entnehmen konntest, ist diese Aussicht absolut im Orkus.«
»Eines verstehe ich noch immer nicht«, sagte Ober. »Wie hat Rick denn das falsche Urteil bekommen?«
»Eric hat es aus meiner Aktentasche genommen«, sagte Ben.
»Eric?«
»Derselbe«, bestätigte Lisa.
»Das kann doch nicht wahr sein«, stöhnte Ober konsterniert. »Weil du wußtest, daß dir das Dokument gestohlen wird, hast du die falsche Fassung in deine Aktentasche gesteckt?«
»Genau«, bestätigte Ben, während jemand an der Tür klopfte. »Ich hab' sie einfach in der ursprünglichen Form des Sondervotums gelassen.«
»Herein!« rief Lisa.
Nancy kam ins Zimmer. »Hier ist jemand, der behauptet, er hätte eine Verabredung mit euch.« Sie trat zur Seite und ließ Eric herein.
Ben stand auf. »Ja, den kenne ich«, sagte er zu Nancy. »Vielen Dank für die Begleitung.«
Als Nancy das Zimmer verlassen hatte, sah Eric Ben durchdringend an. »Ich hab' gerade gehört, daß Grinnell verloren hat.«
»Ist das nicht unglaublich?« rief Ben und stürmte auf ihn zu.
»Ich gratuliere!« Eric umarmte ihn. »Ich dir auch«, sagte Ben. »Ohne dich hätten wir es nicht geschafft.«
Eric umarmte jetzt auch Lisa. »Vielen Dank für deine Hilfe.«
»Hast du unten irgendwelche Probleme gehabt, hereinzukommen?« fragte Ben.
»Überhaupt nicht«, berichtete Eric. »Ich hab' mich als Nathan ausgegeben, genau wie du's mir gesagt hast.«
»Moment, Moment!« Obers Blick schoß wirr zwischen allen Anwesenden umher. »Was ist hier eigentlich los, verdammt noch mal? Gestern habt ihr euch noch bis aufs Blut gehaßt, und heute veranstaltet ihr ein Love-in?«
»Setz dich, Sherlock.« Ben deutete aufs Sofa. »Jetzt kommt der wirklich interessante Teil.«
Ober sah Eric an. »Du bist also -«
»Hör einfach mal nur zu«, unterbrach Ben ihn und ließ sich auf der Ecke von Lisas Schreibtisch nieder. »Du wirst dich erinnern, daß Rick und ich vorhatten, uns zu treffen, damit ich ihm das Grinnell-Urteil übergeben könnte. Nun machte Rick sich aber offenbar Sorgen, ich könnte ihm eine Falle stellen, was ich ja auch vorhatte. Deshalb hat er sich nach anderen Möglichkeiten umgesehen, an das Dokument zu kommen.«
»Und da er wußte, daß Ben und ich verkracht waren, hat er sich an mich herangemacht.« Eric setzte sich neben Ober. »Er hat wohl angenommen, daß jemand, der so was wie den CMI-Artikel schreiben konnte, um sich in Szene zu setzen, für eineinhalb Millionen Dollar bestimmt auch ein paar Dokumente beiseite schaffen würde.«
»Er hat dir eineinhalb Millionen Dollar angeboten?« fragte Ober ungläubig. »Damit hätte er zu mir kommen sollen.«
»Sehr lustig«, kommentierte Eric. »Jedenfalls sitze ich ein paar Tage vor Thanksgiving an meinem Schreibtisch, als Rick mich anruft. Er sagte,
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