Der zehnte Richter
sagen muß, aber diesmal bist du ganz allein.«
Verärgert saß Eric an seinem Schreibtisch in der politischen Redaktion. In den letzten drei Stunden hatte er ständig versucht, seine Freunde zu erreichen. Nathan war nicht im Büro, Ben nicht im Gericht, Lisa nicht zu Hause. Diese Anrufe müssen ein Trick gewesen sein, überlegte Eric, während die Krümel seines verspäteten Mittagessens auf seine Tastatur fielen. Er wischte sich an seinen Jeans die Hände ab und blätterte in seiner Rolodex. Schluß mit den Spielchen, dachte Eric, während er die Nummer der Sicherheitsabteilung des Obersten Gerichtshofs wählte. Ich brauche Hilfe.
»Büro der U.S. Marshals«, meldete sich eine Männerstimme. »Carl Lungen am Apparat.«
»Mr. Lungen, hier spricht Eric Stroman, Ben Addisons Mitbewohner.«
»Woher kennen Sie meine Durchwahl?« Lungen klang verärgert.
»Die hab' ich mir heimlich aus Bens Rolodex besorgt - man weiß ja nie, ob man nicht mal einen Marshai braucht. Ich rufe auch an wegen eines Notfalls. Ich glaube, Ben ist in großen Schwierigkeiten.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Ich will nicht die ganze Geschichte aufrollen, aber Ben wurde von einem Kerl namens Rick erpreßt. Vor ein paar Stunden hat mich Ben angerufen und mir gesagt, ich soll unser Haus verlassen, weil Rick hinter uns her sei. Eine halbe Stunde später hat sich dann Lisa gemeldet und behauptet, alles sei in Ordnung. Vielleicht bin ich ja nur neurotisch veranlagt, aber ich glaube, daß ihnen etwas zugestoßen ist.«
»Eric, ich bin sehr froh, daß Sie mich angerufen haben«, antwortete Lungen. »Und jetzt fangen Sie ganz von vorn an und erzählen mir die Geschichte.«
Es war zehn Uhr abends, als Rick und Claremont in der mittleren Suite saßen und in den Überresten ihres vom Zimmerservice gelieferten Abendessens stocherten. »Nur noch zwölf Stunden«, sagte Rick und knabberte an einem Pommes-frites-Schnitz. »Wir haben's fast geschafft.«
»Können Sie garantieren, daß wir die Optionsscheine bis zum Mittag verkaufen können?«
»Wie oft wollen Sie's denn noch hören?« fragte Rick. »Bis zwölf Uhr mittags ist alles erledigt.«
»Schauen Sie mich nicht so an«, erwiderte Claremont. »In meiner Lage hätten Sie auch solche Gedanken. Schließlich wird es nur wenige Stunden dauern, bis die Aufsichtsbehörde feststellt, daß ein Manager der American Steel seinen gesamten Bestand an Aktien verkauft hat, um eine sehr gewagte Wette einzugehen. Der Deal wird dort ein ganz schönes Stirnrunzeln verursachen.«
»Bis die darauf kommen, sind wir längst verschwunden. Machen Sie sich nicht verrückt.«
»Ich bin froh, wenn alles vorbei ist.« »Sie werden mehr als froh sein«, sagte Rick. »Sie
werden reich sein. Die Optionsscheine werden uns
Millionen einbringen.«
»Und was ist, wenn Ben lügt und Steel verliert?« »Keine Sorge. Nach der Sache mit Grinnell hätte
ich keinen Dollar eingesetzt, ohne sicher zu sein, daß
er die Wahrheit sagt.«
»Nathan, kannst du nicht damit aufhören?« flehte Ben. »Sprich doch mit mir.«
»Laß ihn in Ruhe«, sagte Lisa. »Er wird schon was sagen, wenn er dazu bereit ist.«
»Schweigen hilft jetzt wirklich niemandem«, beharrte Ben. »Schluck's doch endlich runter.«
»Ich soll es runterschlucken?« Nathan hob den Kopf und starrte Ben an. »Ober ist tot. Das ist nicht etwas, was ich einfach runterschlucken kann. Heute nicht, und morgen nicht. Wahrscheinlich nie.«
»Hört auf zu streiten.« Lisa zerrte an ihren Fesseln. Als sie sich nach links beugte, konnte sie über die Armlehne sehen und erkennen, daß ihre Handschellen mit den hölzernen Streben verbunden waren, die Vorder- und Hinterbeine des antiken Stuhls verbanden. »Wir sollten uns darauf konzentrieren, hier herauszukommen.«
»Laß mich mal raten«, sagte Nathan. »Du hast 'ne Haarklammer in der Frisur und bist Expertin im Schlösserknacken?«
»Schön wär's.« Lisa ließ ihren Stuhl vorkippen, bis sie stehen konnte. Gebeugt stolperte sie zu Ben und setzte den Stuhl so ab, daß sie ihm gegenübersaß. »Siehst du die Streben da?« fragte sie. »Wenn du dagegen trittst, werden sie bestimmt brechen.«
Ben prüfte mit einem Blick den Durchmesser der Stäbe. »Unmöglich«, sagte er. »Die werden nie -«
»Jetzt hör auf«, unterbrach Lisa ihn. »Versuch es. Tritt, so stark du kannst, aber paß auf, daß du nicht meine Hand triffst.«
Ben rückte seinen Stuhl in Position und konzentrierte sich auf den ersten Tritt. »Moment«, sagte Lisa und
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