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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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dann das mit Miss Stefancyzk passiert, Sarah war beliebt geworden und ich hatte angefangen, die andere Seite zu malen.
    Sie schlang die Arme um die Ketten, stieß sich sachte mit den Füßen ab und hörte mir zu. Dann sagte sie: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die dir was anhängen können, wenn du schlafgewandelt bist. In Psychologie haben wir gelernt, dass Schlafwandeln ein Anzeichen für eine Hirnerkrankung sein kann, wie Krampfanfälle und so was. Sollst du denn zum Arzt gehen?«
    »Keine Ahnung.« Ich scharrte mit der Turnschuhspitze Linien in die Kuhle unter der Schaukel. »Die haben lauter Tests mit mir gemacht.«
    »Echt?« Ich erzählte ihr davon, und sie nickte. »Der mit den immer gleichen Fragen, das war ein MMPI. Das ist ein Persönlichkeitstest, bei dem festgestellt werden soll, ob jemand lügt oder an einer psychischen Erkrankung leidet. Die wollten bestimmt rausfinden, ob du paranoid bist.«
    »Also das hat schon mal geklappt!«
    »Bei dem Rorschachtest mit den Tintenklecksen geht esauch um psychische Störungen. Schizophrene und manisch Depressive hören ja manchmal Stimmen und drehen dann total ab. Meinst du, die Psychologen denken, du bist geisteskrank?«
    Das war mir ein bisschen zu dicht an der Wahrheit. »Ach, mich halten doch sowieso alle für gestört.«
    »Na ja … du malst dauernd diese Bilder und Augen … das ist schon ein bisschen zwanghaft. Aber viele Künstler bewegen sich in diesem Grenzbereich.«
    »Ach ja?«
    »In unserem Psychologiebuch war ein ganzes Kapitel über Kreativität und Wahnsinn. Proust war manisch-depressiv, Virginia Woolf hat sich umgebracht, Sylvia Plath und Anne Sexton auch. Edvard Munch hat seine berühmtesten Bilder erst gemalt, als er krank wurde. Und van Gogh war sowieso verrückt.«
    »Na, da fühl ich mich doch schon viel besser!«
    Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Damit wollte ich nur sagen, dass die größten Künstler nicht unbedingt der Norm entsprechen. Picasso zum Beispiel muss doch mit einem Bereich des Gehirns gesehen und gedacht haben, an den jemand wie ich niemals rankommt.«
    Ich war verblüfft. Ich hatte nicht geglaubt, dass sich außer mir noch jemand für solche Fragen interessierte. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass Sarah diese Künstler überhaupt kannte, und schon gar nicht, dass sie so darüber dachte. Von ihren Freundinnen verstand bestimmt keine etwas von Kunst – höchstens von der Art »Kunstwerken«, die man sich im Nagelstudio verpassen lässt.
    »Du bist also ein Künstler und nicht wie andere Leute«,stellte sie fest. »Trotzdem könntest du versuchen, dich ein bisschen anzupassen.«
    »Ich glaube nicht, dass die Leute hier in Winter daran interessiert sind. Deren Urteil über mich steht doch längst fest.«
    Sarah überlegte und entgegnete dann leise wie im Selbstgespräch: »Wenn sich die Leute die Mühe machen würden, dich besser kennenzulernen, oder wenn du nicht andauernd solches … gruseliges Zeug malen würdest …«
    »Das mache ich aber nun mal, und die Leute haben eben keine Lust, mich besser kennenzulernen. Das ist schon in Ordnung.«
    »Nein. Du bist kein schlechter Mensch. Okay, da ist die Sache mit Miss Stefancyzk, aber das war doch reiner Zufall, dass sie dich in ihrem Abschiedsbrief erwähnt hat. Und du bist schon irgendwie seltsam …«
    »Vielen Dank. Du hast es bestimmt auch nicht leicht, wo dich doch alle so toll finden und du dich trotzdem mit einem Spinner wie mir abgibst.« Ich hatte es nicht so ironisch gemeint, wie es rauskam – oder vielleicht doch.
    Sie sah mich an, als hätte ich ihr eine runtergehauen. Dann wurde sie rot. »Ich will dir doch bloß helfen.«
    Auf einmal packte mich die Wut. Seit Jahren musste ich mich allein durchbeißen. Keiner wollte etwas mit mir zu tun haben. Und jetzt spielte sich Sarah plötzlich als meine Kindergärtnerin auf – oder als meine Schwester oder Therapeutin oder sonst was. »Auf deine Hilfe kann ich verzichten. Mir geht’s super!«
    »Das ist doch Schwach…« Ihr Handy piepste. Sie blickte auf das Display, klappte das Handy auf und sagte betontmunter (allerdings funkelte sie mich dabei wütend an): »Hallo, Stacy. Nein, du störst mich nicht. Eigentlich habe ich gerade gar nichts gemacht.« Sie sprang von der Schaukel und ging mit dem Handy am Ohr davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Ich schaute auf die Linien, die ich in die Erde gezogen hatte. Man erkannte undeutlich Sarahs Gesicht. Und ihre Augen natürlich.
    Ich scharrte so lange in

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