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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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Uni-Account benutzen. Egal, jedenfalls gab es früher in Deutschland den gruseligen Brauch, dass man beim Bau einer Burg ein lebendiges Kind mit einmauern musste, um Unglück und böse Geister fernzuhalten.«
    »Das kann ich nicht glauben«, sagte ihre Mutter.
    »Doch! Es gab eine Burg namens Vestenberg, da hat der Maurer extra einen Sitz für einen kleinen Jungen in die Wand eingebaut. Angeblich haben sie dem Kleinen einen Apfel geschenkt, damit er nicht weint. Dann wurde er eingemauert. Beim Bau einer Kirche in einem anderen Dorf war es genauso. Ich hab übrigens eine Eins für das Referat gekriegt.«
    »Das ist ja abscheulich«, befand Mrs Schoenberg.
    Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Ich würde eher sagen, es ist ein Brauch, den wir heutzutage nicht mehr nachvollziehen können. Die Religionsgeschichte ist voller abergläubischer Bräuche, die uns heute unsinnig vorkommen, für die Menschen damals aber völlig einleuchtend waren. Im Grunde ist es mit Jesus Christus doch nicht viel anders.«
    »Wie kommst du denn jetzt darauf?«, fragte Onkel Hank.
    »Nun ja … Gott opfert sein Kind und es nimmt unsere Sünden mit ins Grab. Darin muss ein tieferer Sinn liegen.« Der Pfarrer biss von seinem Brötchen ab, kaute nachdenklich und trank einen Schluck Wein nach. »Hältst du einen Zusammenhang für möglich, Hank? Fast alle Einwohner von Winter haben deutsche Vorfahren. Vielleicht haben die ja ein paar urtümliche Bräuche aus ihrer alten Heimat mitgebracht.«
    »Ich würde sagen, das hängt davon ab, wie die Kollegin die Leiche datiert.«
    »Kann ich bei der Untersuchung zuschauen?«, erkundigte sich Sarah.
    »Kommt nicht infrage«, sagte Mrs Schoenberg entschieden.
    »Warum nicht?«
    »Weil das makaber ist, darum nicht.«
    »Aber Mom, das ist Wissenschaft ! Was glaubst du denn, was Archäologen und Paläontologen machen? Vielleicht will ich ja mal Rechtsmedizinerin werden.«
    »Gutes Argument«, meinte ihr Vater. »Es ist doch nichts Schlimmes dabei, Miriam.«
    »Bitte, Hank!« Mrs Schoenberg sah meinen Onkel hilfesuchend an. »Erklär Sarah, dass sie dabei nichts zu suchen hat.«
    Onkel Hank wand sich. »Offen gestanden wüsste ich nicht, was dagegen spricht, Miriam. So etwas ist doch hochinteressant, und ich habe schon öfter erlebt, dass die Rechtsmediziner Studenten mitbringen. Sie sind es gewöhnt, dass junge Leute dabei sind. Natürlich muss ich die Kollegin erst fragen. Wenn sie nichts dagegen hat … mir soll’s recht sein.«
    Sarah strahlte. »Super!«
    »Schönen Dank auch, Hank!« Mrs Schoenberg schob ihren Stuhl zurück. »Möchte jemand Kuchen?«
    + + +
    Wir halfen abwaschen, dann forderte Sarah mich auf: »Komm, wir gehen raus.«
    Wir liefen hinters Haus. Dort gab es ein Schaukelgerüst aus verwitterten Zedernpfosten und zwei schwarzen, an Ketten aufgehängten Plastiksitzen. Daneben stand eine ramponierte grüne Rutsche. Unter der Schaukel war eine tiefe Kuhle im Boden, weil sich im Lauf der Jahre unzählige Kinder mit den Füßen abgestoßen hatten. Die Sitze sahen ziemlich klein aus und waren tatsächlich ein bisschen eng. Als ich mich draufsetzte, musste ich die Beine waagerecht ausstrecken. Trotzdem war es nett, hier draußen zu sein. Wie früher. Mir fiel auf, dass Sarah sich zum ersten Mal seit einer Ewigkeit Zeit nahm, mit mir zu reden.
    Sie ließ sich auf die Schaukel neben mir plumpsen. Die verrosteten Ketten quietschten. »Glaubst du, dein Onkel hält sein Versprechen?«
    »Schon. Aber es ist wirklich ein bisschen … gruselig.«
    »Ach Quatsch. Das sagst ausgerechnet du ! Wenn es wirklich klappt, kann ich vielleicht mein Geschichtsreferat darüber schreiben, da soll es ja um irgendwas Heimatkundliches gehen. Das würde doch total gut passen. Kommst du auch mit zu der Untersuchung?«
    »Mal sehen.«
    Sie sah mich an. »Warum hast du das gemacht?«
    Sie meinte die Sache mit der Scheune. »Ich hab echt keineAhnung. Ich kann mich nicht mal dran erinnern, dass ich irgendwas gemacht habe.«
    Und dann erzählte ich ihr die ganze Geschichte. Frag mich nicht, wieso. Na ja, einiges ließ ich weg: das mit dem Zwiebelturm auf meiner gezeichneten Stadtansicht zum Beispiel und dass ich ganz plötzlich im Körper eines anderen Jungen gelandet war. Die Träume auch. Es war trotzdem schön, mit jemandem darüber zu reden. Eigentlich hätte ich mit dem Psychiater darüber sprechen müssen. Aber den kannte ich ja noch gar nicht, und Sarah saß neben mir und wir kannten uns schon so lange. Allerdings war

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