Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
Vom Netzwerk:
findet noch ein letztes Angebot statt. Ich glaube, heute ist Malendran, da kannst du auch noch helfen. Jetzt müssen wir aber los! Alles andere erkläre ich dir unterwegs.«
    Wir liefen einen langen Flur entlang, von dem links und rechts lauter Türen abgingen. Neben den Türen waren Namensschilder angebracht. Kein Zimmer schien leer zu stehen. An jedem Flurende hing eine große Wanduhr mit Datumsanzeige. Es roch nach Desinfektionsmittel, Rührei und gekochtem Reis.
    »Wir sind hier im Flügel für Betreutes Wohnen«, erklärte Peggy. »Hier sind ungefähr sechzig Bewohner untergebracht. Die meisten leiden an leichten oder mittelschweren Formen von Demenz und Alzheimer. Das heißt, sie kommen noch einigermaßen zurecht, aber sie dürfen das Gebäude nicht verlassen. Deswegen ist unser Hof auch eingezäunt, damit niemand verloren geht. Der Älteste ist einundneunzig, und ich lege die Hand dafür ins Feuer, dass er bis Thanksgiving umgezogen ist. Wenn jemand seine Gabel anschaut, als hätte er so einen Gegenstand noch nie gesehen, dann macht er’s hier nicht mehr lange.«
    »Wohin ziehen die Leute denn dann um?«
    »Nach nebenan. In die Intensivpflege. Da kommen die meisten nur mit den Füßen voran wieder raus, wenn du verstehst, was ich meine. Du bekommst übrigens von uns einen Kartenschlüssel, dann brauchst du nicht jedes Mal zu mir zu kommen, wenn du von einem Haus ins andere musst.«
    »Sehr gut«, sagte ich. Wenigstens Peggy schien mir halbwegs zu vertrauen.
    »Eins noch. Manche Demenzpatienten sind ziemlich unberechenbar. Einige werden richtig boshaft. Frag mich nicht, ob das von der Demenz kommt oder ob sie schon früher sowaren. Wir hatten mal einen alten Herrn hier, der hat mich immer gekniffen, aber nicht, weil er mit mir schäkern wollte. Nein, er wollte mir richtig weh tun, weil er wütend auf seine Familie und die ganze Welt war. Er hatte einen Schlaganfall und musste gefüttert werden. Er brauchte auch Hilfe beim Anziehen und beim Toilettengang. Dafür wollte er sich rächen. Schließlich ist er nach nebenan gekommen. Als er starb, habe ich ihm keine Träne nachgeweint. Aber ich habe ihn immer respektvoll behandelt. Respekt ist das Allerwichtigste. Ansonsten gilt: Was auch passiert – ruhig bleiben.«
    »Verstanden.« Ich musste an Dekker denken: Ruhig bleiben, kapiert! »Und das hier sind die Zimmer der Bewohner?«
    »Richtig.« Peggy zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Da hinten sind der Speisesaal, der Gemeinschaftsraum und die Gemeinschaftsküche für diejenigen Bewohner, die noch in der Lage sind, sich in der Mikrowelle Popcorn zu machen oder Plätzchen zu backen, ohne gleich die ganze Bude abzufackeln.«
    »Aha.«
    »Das ist trotzdem schon ein, zwei Mal vorgekommen. Im Gemeinschaftsraum finden auch die Angebote statt: Malen, Yoga, Tanzen, Spieleabende und Filme. Sonntags kommt immer einer von den evangelischen Pfarrern aus der Stadt, und ein katholischer Priester liest die Messe. So!« Sie straffte sich, als ginge es in die Schlacht. »Jetzt müssen wir erst mal dafür sorgen, dass alle in den Speisesaal kommen, entweder selbstständig oder wir bringen sie hin. Beim Essen passen dann Kollegen auf. Wir beide gehen nach nebenan in die Pflege und helfen dort beim Abendbrot.«
    »Sie meinen, wir füttern die alten Leute?«
    Ein prüfender Blick. »Hast du damit ein Problem?«
    »Nein. Ich … ich hab so was bloß noch nie gemacht.«
    »Tja, es gibt immer ein erstes Mal. Du wirst hier einiges zu tun bekommen, was du noch nie gemacht hast.«
    Inzwischen hatten sich ein paar Bewohner von allein auf den Weg zum Speisesaal gemacht. Ich war noch nie so uralten Menschen begegnet und fand es irgendwie gruselig, wie sie aus ihren Zimmern geschlichen kamen. Ich musste an Vampire denken, die um Mitternacht ihre Särge verlassen, oder an Zombies. Viele wackelten an Rollatoren oder Gehhilfen den Flur entlang. Andere schlurften oder trippelten unsicher und schauten dabei die ganze Zeit auf ihre Füße. Kaum einer sagte etwas, weil sie sich ganz aufs Gehen konzentrieren mussten. Ein paar von den Frauen trugen geblümte Kleider und einige Männer waren im Anzug, als wollten sie ins Restaurant. Das fand ich irgendwie … traurig.
    Peggy verpasste mir einen Blitzkurs im Umgang mit Rollstühlen. Sie zeigte mir, wie man die Bremsen festmacht und die Fußstützen hoch- und runterstellt. Dann klopften wir nacheinander an die Türen, holten die Leute ab und brachten sie in den großen Speisesaal. Dort gab es

Weitere Kostenlose Bücher