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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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Familie Eisenmann unendlich viel zu verdanken. Wir überlegen sogar, ob wir nicht beantragen, dass Winter offiziell umbenannt wird. Ohne die Eisenmanns könnten wir alle nicht überleben. Wenn die Fabrik länger als eine Woche geschlossen wird, bin ich erledigt. Diese Gewerkschafter, die Juden – es hat sich zu uns herumgesprochen, dass sie auch in Chicago und New York Unruhe stiften. Wenn sie den Sozialismus so großartig finden, können sie ja wieder nach Russland zurückgehen.« »Das ist absurd«, sagt Saltzman dazu. »Wir sind genauso Amerikaner wie alle anderen. Wir Juden sind im Lauf der Geschichte immer wieder drangsaliert und verfolgt worden. Unsere Eltern sind in die Vereinigten Staaten eingewandert, weil Amerika das Land der Freiheit und der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Und wer von uns erst vor Kurzem hergekommen ist, musste vor der gleichen Tyrannei fliehen, die unsere Soldaten unter Einsatz ihres Lebens bekämpft haben. Keiner von uns möchte in sein Herkunftsland zurückkehren. Einer der größten Vorzüge der Vereinigten Staaten ist es gerade, dass sich hier jedermann ungehindert für seine Ideale von gesellschaftlicher Gerechtigkeit einsetzen darf. Nichts anderes tun wir.«
    Wir möchten unseren Lesern nicht verschweigen, dass derVorstand der Synagoge die Gewerkschaftsfunktionäre weiterhin unterstützt. Für kommenden Sonntag ist wieder eine Versammlung geplant – eine Entscheidung, über die viele Mitglieder der christlichen Kirchengemeinden entrüstet sind. »Der Sonntag ist der Tag des Herrn«, sagt ein Geistlicher, der ungenannt bleiben möchte. »Das ist ein Affront gegenüber den Christen in dieser Stadt.«
    Verschiedene Kirchengemeinden haben verlauten lassen, dass sie eigene Mahnwachen aufstellen wollen.
    Hierzu äußerte sich der Synagogenvorstand nicht.
    »Uff!« Sarah ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Davon habe ich gar nichts gewusst. Du vielleicht? Ein Mord, Gewerkschaftsversammlungen und dass es bei uns eine Synagoge gegeben hat.«
    »Überleg mal … ist dir klar, dass es außer Mr Witek wahrscheinlich keine anderen Juden mehr in dieser Stadt gibt?«
    »Ich kenne jedenfalls keine. Der Bürgermeister trifft sich jeden zweiten Monat mit allen Kirchenleuten, und sie reden über … keine Ahnung … Religion und so. Dad hat nie erzählt, dass da auch Juden dabei sind. Und von einem Gefängnis hier in der Stadt weiß ich auch nichts.«
    Ich war genauso baff wie Sarah. Den Artikel zu lesen war so, als würde man einen alten Schrank öffnen und der ganze Inhalt kommt einem entgegen. Ich dachte an meine Liste und las den Artikel noch einmal. Neben den Punkt Marta schrieb ich: Schwester, 17 Jahre alt , neben David notierte ich: 8 Jahre alt.
    »Was ist das?« Sarah schielte auf das Blatt. »Du weißt ja doch schon was.«
    »Aber nichts Näheres. Hab nur hier und da etwas aufgeschnappt.« Ich war schon damit beschäftigt, neue Punkte aufzulisten: Gewerkschaft , Chana Witek , Albert Saltzman , Beit Tikwa und Camp Winter . Was mochte das sein? Hieß so das Gefängnis? »Kann man die Artikel auch ausdrucken?«, fragte ich.
    Sarah zeigte mir gerade, wie das ging, da streckte Miss Maynard den Kopf herein. »Packt schon mal eure Sachen zusammen. In fünf Minuten mache ich Feierabend.«
    Die Wanduhr zeigte viertel vor fünf. »Aber Sie schließen doch erst um fünf. Das ist noch mindestens zehn Minuten hin.«
    Ihr Ton wurde wieder unfreundlich. »Ich habe meinen festen Ablauf, wenn ich hier zumache. Miss Schoenberg hat sich noch nie darüber beschwert. Tut mir leid, aber wenn du unsere Einrichtung nutzen willst, musst du dich an unsere Regeln halten.«
    So furchtbar leid schien es ihr nicht zu tun. »Kein Problem«, kam mir Sarah zu Hilfe, »wir sind gleich weg.« Sie wartete, bis Miss Maynard wieder draußen war, dann zischelte sie: »Stell dich lieber gut mit ihr.«
    »Ich wollte sie nicht ärgern.« Ich bedauerte es allerdings auch nicht. »Aber wir haben so viel entdeckt!«
    » Du hast viel entdeckt. Schade, dass wir keinen Schlüssel haben, dann könnten wir weitermachen, wann wir Zeit haben.«
    »Jetzt bist du mit deinem eigenen Referat gar nicht weitergekommen – tut mir leid.« (Diesmal war es ehrlich gemeint.)
    Sie klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter. »Nichtso schlimm. Ich finde es unglaublich spannend, wem die alte Villa wann gehört hat – und dabei habe ich noch gar nicht nachgeforscht, ob es Pensionsgäste gab und Bedienstete oder wer das Haus später alles gemietet

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