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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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Camp McCoy im Landkreis Monroe. Dort waren überwiegend japanische Gefangene interniert und … ach, das ist ja interessant: Der allererste Kriegsgefangene, derüberhaupt in die USA kam, wurde auch nach McCoy überstellt, ein Japaner namens Samaki Kazuo. Er war bei Pearl Harbor in Gefangenschaft geraten. Das Militär richtete aber noch mehr Lager in unserem Bundesstaat ein, und zwar überall dort, wo Arbeitskräfte fehlten. Manche Kriegsgefangene arbeiteten in Konservenfabriken, andere in der Landwirtschaft. Sie blieben so lange, bis die Arbeit getan war, manchmal nur ein paar Monate. Dann brachte man sie wieder woanders hin.«
    Ich musste an das denken, was ich mit David Witeks Augen gesehen hatte: die Männer auf dem Bohnenfeld und die beiden uniformierten Bewaffneten zu Pferde – die Gefangenenaufseher.
    Dr. Rainier war noch nicht fertig: »Aber es gab auch Anfragen, Kriegsgefangene an andere Industriezweige auszuleihen. Der Lohn war lächerlich, um die achtzig Cent am Tag. Aber man wollte die Männer beschäftigen, und sie sollten bei ihrer Entlassung ein bisschen Geld in der Tasche haben, damit sie in ihrer Heimat noch mal von vorn anfangen konnten. Anscheinend hielten sich noch bis Ende 1946 Kriegsgefangene in den USA auf. Da war der Krieg schon längst zu Ende.
    Ach, und dieser Artikel aus Madison erklärt auch, weshalb niemand darüber spricht. Offenbar wollte man damals vermeiden, dass die Öffentlichkeit viel davon mitbekam. In den größeren Zeitungen stand so gut wie nichts über das Thema, und die Lokalblätter in den kleineren Städten erschienen wegen der schlechten Wirtschaftslage nicht regelmäßig. Sogar wenn ab und zu ein Gefangener entkam …«
    »Entkam?« Wie war das doch gleich gewesen – ein Aufseherpro Lastwagen und ein Gefangener am Steuer? »Sie meinen, es sind welche geflohen?«
    »So steht es hier.«
    »Und wurden sie alle wieder eingefangen?«
    Dr. Rainier überflog den Online-Artikel und schüttelte den Kopf. »Davon steht hier nichts. Vielleicht wurden Flüchtige auch nicht immer gemeldet. Die Einwohner von Wisconsin sind bekanntlich Waffennarren und schießen einander beim nichtigsten Anlass über den Haufen.«
    »Stimmt. Vielleicht hätten verängstigte Hausfrauen aus Versehen ihre Männer abgeknallt, wenn die von der Spätschicht heimkamen.«
    »Jedenfalls wurde es nicht an die große Glocke gehängt, wenn ein Gefangener flüchtete. Bis dann die Zeitung rauskam, war der Betreffende längst wieder gefasst und der Vorfall keine Meldung mehr wert. Mich wundert allerdings, dass die Gefangenen überhaupt so bereitwillig aufgenommen wurden.«
    »Ist doch logisch.« Dr. Rainier machte ein verständnisloses Gesicht, deshalb erklärte ich: »Sie sind eben nicht von hier. Die meisten Leute in dieser Gegend haben deutsche Vorfahren. Der erste Eisenmann hat sich viel Mühe gegeben, damit sich deutsche und österreichische Einwanderer hier zu Hause fühlen. Und die meisten sind dageblieben. So viel weiß ich dann doch über die Geschichte von Winter.«
    »Dann haben sich manche deutsche Kriegsgefangene hier wahrscheinlich auch wie zu Hause gefühlt.«
    »Eins kapier ich aber nicht ganz. In dem August-Artikel aus dem Stadtarchiv steht, dass Camp Winter geschlossen werden soll. Aber in dem Artikel vom Oktober kommt dasLager immer noch vor. Wieso? Wenn die Gefangenen in der Landwirtschaft eingesetzt wurden … Im Oktober ist die Ernte doch unter Dach und Fach, und woanders gibt es hier in Winter keine Arbeit außer …« Ich stockte.
    »… außer in der Fabrik«, beendete Dr. Rainier meinen Satz. »In den Eisenmann-Betrieben.«
    Nach einer kurzen Pause fragte ich: »Glauben Sie, Mr Eisenmann hat die deutschen Kriegsgefangenen einfach weiter für sich arbeiten lassen?«
    »Um der Gewerkschaft eins auszuwischen? Er ist Geschäftsmann, und die Männer waren billige Arbeitskräfte. Warum also nicht?«
    + + +
    »Stell dir vor, jemand ist Jude und weiß ganz genau, was in Deutschland vorgeht – und dann holt der reichste Mann der Stadt ausgerechnet deutsche Soldaten hierher«, sagte Dr. Rainier. »Kein Wunder, dass die Juden aufgebracht waren.«
    »Schon, aber wo sind sie alle geblieben? Warum gibt es heute keine Juden mehr in Winter?«
    »Einer ist ja noch da.« Dr. Rainier schüttelte den Kopf. »Da komme ich jeden Tag an der Mesusa an seiner Tür vorbei und habe sie mir nie richtig angeschaut!« Weil ich das Wort nicht kannte, erklärte mir Dr. Rainier, dass es sich um eine Schriftkapsel mit

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