Der Zeichner der Finsternis
in gewisser Hinsicht bestätigte.
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Es wurde ein sehr schönes Abendessen. Das soll nicht heißen, dass wir sonst nicht gut essen. Onkel Hank, der selbst ein ziemlich guter Koch ist, hat mir das Kochen beigebracht. Meistens haben wir nur einfach keine Zeit. Und wir sind ein Männerhaushalt.
Insofern war der heutige Abend eine Ausnahme. Das Essen schmeckte super, und es gefiel mir, wie wir zu dritt am Tisch saßen. Man hatte den Eindruck, dass Onkel Hank und Dr. Rainier sich schon ewig kannten. Sie passten gut zueinander, das sah man, und sie mochten sich offensichtlich. Warum hatte Onkel Hank dann gesagt, dass er in Bezug auf Dr. Rainier »nichts unternehmen« wollte? Deinetwegen natürlich, du Blödmann!, ging es mir durch den Kopf. Ich war Dr. Rainiers Klient. Onkel Hank wollte meine Therapie nicht gefährden.
Es klingt vielleicht komisch, aber ich dachte sofort wieder ans Abhauen. Bestimmt wäre Onkel Hank viel besser dran, wenn er mich nicht am Hals hätte …
»Christian?«, fragte Onkel Hank. »Ist was?«
»Nein, nein.« Ich lächelte gezwungen und wich Dr. Rainiers Blick aus. (Was albern war. Sie konnte schließlich keine Gedanken lesen. Trotzdem.) Dann stand ich auf und räumte meinen Teller ab. »Ich muss noch Hausaufgaben machen.« Mir kam ein Gedanke. »Du, Onkel Hank, ich muss noch mal ins Stadtarchiv, aber die machen freitags früher zu. Morgen haben wir zum Glück schulfrei, aber kannst du mir vielleicht eine Sondererlaubnis besorgen oder so, falls ich morgen nicht alles schaffe?«
Onkel Hank runzelte die Stirn. »Ungern. Kannst du nicht einfach selbst fragen?«
Ja klar – ich war ja auch so beliebt! Die Leute in Winter rissen sich bestimmt darum, mir einen Gefallen zu tun.
Onkel Hank sah mir wohl an, was ich dachte, denn er sagte rasch: »Ach was – ich helfe dir gern, wenn ich kann. Ichrufe morgen früh im Archiv an und frage, ob du eventuell auch nach Feierabend dort arbeiten kannst. Ist ja schließlich für die Schule.«
»Und für Sarah kannst du gleich mitfragen«, ergriff ich die Gelegenheit und spürte Dr. Rainiers forschenden Blick. »Sie hat mir echt viel geholfen und …«
»Wird erledigt«, sagte Onkel Hank, dann schnippte er plötzlich mit den Fingern. »Ach übrigens, morgen kommt die Rechtsmedizinerin.«
»Wie schade!«, rief Dr. Rainier. »Hätte ich das gewusst, hätte ich meine Termine danach ausgerichtet. Wann fängt sie denn an?«
»Marjorie meinte, gleich morgens um acht.«
Dr. Rainier war schon aufgestanden. Sie kramte ein iPhone aus ihrer Handtasche und tippte darauf herum. »Ich kann frühestens um elf. Na ja, besser als gar nicht.«
Ich überlegte fieberhaft. Ich wollte unbedingt weiter im Stadtarchiv recherchieren, aber das tote Baby war auch sehr wichtig, das spürte ich. »Kann ich mitkommen? Du hast gesagt, das geht, und Sarah darf doch auch …«
»Ich habe die Kollegin gefragt, ich hab’s nicht vergessen. Mrs Nichols ist grundsätzlich einverstanden. Rufst du Sarah an?«
»Mach ich. Danke.« Noch etwas fiel mir ein. »Natürlich komme ich nur mit, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Dr. Rainier. Vielleicht wollen Sie ja nicht, dass ich sehe, wie Sie wohnen oder so . Vielleicht verstößt das ja gegen die Regeln einer Therapie.«
»Nett, dass du fragst, Christian. Es gibt diesbezüglich tatsächlich ein paar Regeln.« Sie hob verschmitzt lächelndihr Weinglas. »Aber auf einen Verstoß mehr oder weniger kommt es jetzt auch schon nicht mehr an.«
+ + +
Das mit den Hausaufgaben war glatt gelogen – die hatte ich schon in Dr. Rainiers Wartezimmer erledigt. Ich wollte meine Liste noch einmal in Ruhe überdenken und entscheiden, was als Nächstes zu tun war.
Ich checke nie meine Mails. Wer soll mir schon schreiben? Darum staunte ich nicht schlecht, als ich den Computer hochgefahren hatte und es gleich Pling! machte.
sarah13: Wo warst du denn? Hast du meine Nachricht nicht gekriegt?
ccage: Bin grade erst mit Abendessen fertig. Ich bin später nach Hause gekommen, schon vergessen? Was gibt’s denn?
sarah13: Ich hab lauter Sachen über Nazis/deutsche Kriegsgefangene gefunden. Über Dads Uni-Account kommt man an alle möglichen Datenbanken ran. Hätte mir auch früher einfallen können *Augen verdreh*! Vergiss das Stadtarchiv. Die Mikrofilme sind ja ganz nett, aber wenn man erst mal die richtigen Suchbegriffe hat, geht es auch einfacher.
Sie konnte nicht wissen, was Dr. Rainier und ich inzwischen alles herausbekommen hatten. Ich tippte: Ich hab
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