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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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Besonderes, Christian, auch wenn das die meisten Menschen nicht nachvollziehen können. Was Mr Witek betrifft, so vermute ich, dass der Schlaganfall einen Bereich seines Gehirns außer Gefecht gesetzt und dafür einen anderen mobilisiert hat. Wahrscheinlich hat er aufgrund seiner Demenz schon länger das Zeitgefühl verloren. Der Schlaganfall hat bei ihm Flashbacks von einem Ereignis aus seiner Vergangenheit ausgelöst, oder aber er steckt in einer Art Gedankenschleife fest. Vielleicht leidet er aber auch schon viel länger an Flashbacks und hatte sie bloß erfolgreich verdrängt.«
    Sie ließ meine Hand wieder los, schwenkte in ihrem Drehstuhl herum und zog ein Blatt aus einem Papierstapel. »Das hier stammt aus den Berichten der Internationalen Akademie für parapsychologische Psychiatrie . Es ist die Fallstudie eines Schlaganfallpatienten, der fünfzig Jahre lang an wiederkehrendenFlashbacks eines Verkehrsunfalls litt, bei dem seine ganze Familie ums Leben gekommen war. Der Mann konnte die Flashbacks nicht abstellen, und sie verschlimmerten sich noch, wenn er in die REM-Schlafphase eintrat.« Sie blickte auf. »Ich hatte doch Mr Witeks Medikamente allmählich herabdosiert, damit er wach wird. Vielleicht ist er daraufhin mit dir in Verbindung getreten. Die Stadtansicht, die du gezeichnet hast, und auch die Scheune haben für ihn offenbar große Bedeutung. Und wir beide können uns inzwischen auch denken, warum.«
    »Weil in der Scheune der Mord stattgefunden hat.« Ich nuschelte, denn meine Lippen waren auf einmal so taub, als wäre ich durch einen Schneesturm gelaufen und völlig durchgefroren. »Weil dort jemand ums Leben gekommen ist.«
    Dr. Rainier nickte. »Damals ist für den kleinen David sozusagen die Zeit stehengeblieben. Kein Wunder, dass seine Gedanken immer wieder in die Scheune zurückkehren.«
    Ich nickte zustimmend – aber ich hatte ihr ja längst nicht alles erzählt. Ich hatte ihr meine Alpträume verschwiegen und dass ich mich manchmal selbst im Körper des kleinen David wiederfand.
    Mr Witeks Erinnerungen kreisten nicht etwa unaufhörlich um die Scheune, weil sein Vater dort Walter Brotz ermordet hatte – die Scheune ging dem armen Mr Witek nicht aus dem Kopf, weil er den Mord mit angesehen hatte!

XXII
    »Jetzt stell dich nicht so an«, sagte Dr. Rainier. »Ich habe unsere Stunde ganz schön überzogen. Es ist kurz vor acht, und draußen ist es dunkel. Da lasse ich dich auf keinen Fall allein mit dem Fahrrad nach Hause fahren.«
    »Aber mein Rad steht draußen.«
    »Das kannst du hinten auf meinen Pick-up stellen. Ich habe auch schon bei deinem Onkel angerufen und ihm eine Nachricht hinterlassen.«
    »Wann denn?«
    »Als wir den Termin verschoben haben. Oder hast du ihm etwa Bescheid gesagt?« Ich schüttelte den Kopf, und sie sagte vorwurfsvoll: »Du musst auch mal zur Kenntnis nehmen, dass du nicht allen Leuten gleichgültig bist, Christian.«
    »Aber den meisten.«
    »Und wenn es nur dein Onkel wäre, dem du am Herzen liegst! Du musst ihm sagen, wo du bist. Er macht sich sonst Sorgen.«
    Er macht sich wohl eher Sorgen, was ich als Nächstes anstelle, dachte ich, behielt es aber für mich. Dr. Rainier hätte sowieso keine Ausrede geduldet. Sie machte das Licht aus und schob mich zur Tür hinaus. »Auf geht’s!«
    Als Onkel Hank Dr. Rainier vor der Tür stehen sah, vergaßer alles, was er vielleicht hatte sagen wollen. Sie ließ ihm auch keine Gelegenheit, denn sie sprudelte sofort heraus: »Ich bin schuld, Hank. Wir haben unsere Stunde verlegt, und danach wollte ich Christian nicht im Dunkeln nach Hause radeln lassen. Sie haben meine Nachricht doch erhalten, oder?« Als er nickte, sagte sie: »Gut. Und jetzt sind wir hier.«
    »Stimmt.« Onkel Hank lächelte flüchtig. »Das ist nicht zu übersehen. Tja, immerhin hört Christian auf Sie. «
    »Sie hat mich gezwungen«, murmelte ich.
    »Soso. Dann kommt mal rein. Habt ihr schon zu Abend gegessen?«
    »Was haben Sie denn anzubieten?« Es klang ganz ernsthaft, aber Dr. Rainiers Augen funkelten dabei – und da dämmerte mir, dass die beiden miteinander flirteten !
    »Spaghetti Primavera«, antwortete Onkel Hank. »Und Salat. Dazu gibt’s selbst gemachtes Knoblauchbrot. Vielleicht kann ich auch noch eine Flasche Wein auftreiben.«
    Hatte ich mich verhört? Normalerweise gibt es so spät bei uns höchstens Dosenfutter oder Spiegelei. Aber Spaghetti Primavera? Selbst gemachtes Knoblauchbrot?
    Dr. Rainier schmunzelte nur – was meine Vermutung

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