Der Zeichner der Finsternis
um!«
Nein, Papa, nicht! Ich kann nichts mehr sehen, weil die drei aus meinem Blickfeld verschwunden sind, darum krabble ich zur Treppe und spähe wieder nach unten. Papa hat Blut auf dem Hemd, im Gesicht und an den Händen. Es ist Mr Eisenmanns Blut, das in hohem Bogen aus seiner Nase sprudelt. Mr Eisenmanns ganzes Gesicht ist rot, sein Kinn ist verschmiert, es riecht bis zu mir hoch nach Rost. Er liegt auf dem Rücken, hält die Arme vors Gesicht, und Papa steht über ihm und drischt auf ihn ein. Dieser Walter kommt dazu, zieht Papa weg und schreit: »Hilfe, Hilfe!«
Ich höre Schritte und Rufe, und noch zwei Männer kommen herein … Ihre Gesichter verwandeln sich, ihre Augen werden gelb, der eine rennt nach rechts, und ich sehe ihn nicht mehr, und dann … Papa, Papa, die Heugabel, die Heugabel … nein, nicht
Geschrei erfüllt die Luft
Was hast du
+ + +
»Was hast du mit meiner Maschine gemacht, verdammte Scheiße?«
Ich fuhr mit der Spritzpistole in der Hand herum. Über mir kreisten die Krähen und schrien heiser, aber das war es nicht, was mich zu Eis erstarren ließ.
Karl Dekker stand vor mir, die Kippe im Maul, und blinzelte durch den Qualm. Er war noch verdreckter als sonst. Breite Rußstreifen zogen sich über Hals und Gesicht und erhatte schwarz verschmierte Augenringe. Er sah aus, als käme er aus dem Kohlebergwerk, aber er roch nach versengtem Metall. Er trug noch seinen Arbeitsoverall und hatte einen Henkelmann in der schmutzigen Hand. Jetzt nahm er den Zigarettenstummel aus dem Mund und schnippte ihn auf das Motorrad. »Ey, ich hab dich was gefragt! Was hast du mit meiner Kiste angestellt, du Wichser? Hab ich dir gesagt, dass du diesen Dreck draufmalen sollst?«
»Ich …« Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich weggewesen war – in Davids Vergangenheit –, und mein erster Gedanke war, dass ich Dekkers Kiste womöglich einen Jackson Pollock verpasst hatte.
Ich drehte mich nach dem Motorrad um.
Ich hatte einen Wolfskopf auf die Verkleidung gemalt, mit gelben Augen und länglicher Schnauze. Die dolchähnlichen Reißzähne leuchteten über und unter den Scheinwerfern. Sozusagen als letzten Schliff – und ebenfalls, ohne dass mein Bewusstsein daran beteiligt gewesen wäre – hatte ich mitten auf das Schutzblech ein Hakenkreuz gemalt.
Ich stand aus der Hocke auf. Mordechai Witeks Pinsel hatte ich noch in der Hand. »Ich … äh …« Ich schluckte. »Ich …«
Dekker packte mich am Kragen und zog mich zu sich heran. »Pass mal auf, du Arsch! Wenn ich irgendwelchen Nazikack auf meiner Maschine haben will, dann hätte ich dir das von meinem Dad ausrichten lassen. Was soll das, hä? Was willst du mir damit sagen?«
Sein Atem stank nach Zigaretten und abgestandenem Bier. »Das … Ich wollte das nicht«, sagte ich. »Ich … Ich war …«
Dekker schüttelte mich durch, dann stieß er mich vonsich. Ich wankte rückwärts, rutschte aus, prallte gegen einen Tischbock, und das ganze Gebilde krachte zusammen. Rote Farbe ergoss sich auf die Erde.
»Und jetzt?«, knurrte Dekker. »Soll ich vielleicht so durch die Gegend fahren, hä?« Er wollte mir in die Eier treten, aber ich rollte mich zur Seite, kam auf alle viere und krabbelte schutzsuchend in den Unterstand.
»He!« Dekkers Vater kam aus der Autowerkstatt. »Lass gut sein, Karl.« Er schnappte sich seinen Sohn und zerrte ihn von mir weg. Dekker schimpfte und wehrte sich, aber sein Vater drehte ihn in Richtung Werkstatt und verpasste ihm einen energischen Schubs. Dekker brüllte noch etwas über die Schulter – garantiert nichts Nettes.
»An deiner Stelle würd ich ihm ’ne Weile aus dem Weg gehen.« Dekkers Vater stemmte die Fäuste in die Hüften. »Das soll nicht heißen, dass du Pfusch abgeliefert hast. Ich find’s gut. Der Wolf sieht richtig echt aus – nur den Scheiß hier vorne hättste dir sparen können. Was hast du dir dabei gedacht, Cage? Du hast echt ’ne Klatsche. Jetzt müssen wir drüberlackieren und noch mal von vorn anfangen …« Mr Dekker schüttelte bedauernd den Kopf. »Du legst es echt drauf an, dass dir jemand die Fresse poliert, was?«
+ + +
Ich säuberte hastig meine Pinsel, wobei mir Dekkers Dad die ganze Zeit vorwurfsvolle Vorträge hielt. Dann stieg ich ins Auto und brauste davon. Mir war klar, dass ich das Motorrad nicht zum letzten Mal gesehen hatte – und Karl Dekker auch nicht.
Kaum war die Werkstatt außer Sichtweite, kehrten meine Gedanken zu meiner jüngsten Zeitreise zurück, falls es denn
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