Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
Vom Netzwerk:
Liebling ganz allein aus dem Haus gelassen?«
    »Tag, Mr Dekker.« Ich wusste nicht, was ich mit meinen Händen anfangen sollte. Da er keine Anstalten machte, mir die Hand zu geben, steckte ich die Hände in die Hosentaschen. Mein Atem bildete weiße Wölkchen, aber ich zitterte nicht vor Kälte. Hinter Mr Dekker erspähte ich noch zwei Typen in Overalls. Sie beugten sich über den Motor eines alten Chevrolet-Kombis. Der eine sagte etwas zum anderen, woraufhin sich beide sich nach uns umdrehten und glotzten. »Ich soll Karls Motorrad wieder in Ordnung bringen«, sagte ich. »Äh … ist er denn da?«
    »Nö. Muss aber bald kommen, wenn seine Schicht zu Ende ist.«
    »Ich kann ja schon mal anfangen.«
    »Ist gut.« Aber Mr Dekker rührte sich nicht von der Stelle. Er wischte sich bedächtig weiter die riesigen Pranken ab, dann band er das Halstuch wieder um und deutete mit dem Kinn auf die Werkstatt. »Da hinten.«
    Ich folgte ihm den Schotterweg entlang. Hinter der Werkstatt stand ein kleinerer Schuppen, der an ein Wartehäuschen erinnerte: auf drei Seiten geschlossen und nach vorne offen, darüber ein schräges Dach. Hier wartete auch Dekkers Motorrad. Aber zu meiner Verblüffung war es bereits neu lackiert, und zwar wieder glänzend schwarz. Daneben waren drei Bretter auf Böcke gelegt. Auf diesem provisorischen Tisch waren lauter kleine Flaschen mit Acrylfarbe aufgereiht, ein paar Metallgefäße und eine Spritzpistole. Ein Mundschutz, wie man ihn beim Sprühen von Pflanzenschutzmittel aufsetzt, lag neben einem Karton mit Gummihandschuhen. Auf dem Boden stand ein schwarzer Kompressor, der per Schlauch mit der Spritzpistole verbunden war.
    Dekkers Vater erklärte: »Karl hat den Schaden schon selber überlackiert. Du sollst ihm ein schickes Motiv auf den Tank sprühen, weil du doch so toll malen kannst.«
    »Aber …«
    Mr Dekker fiel mir ins Wort: »Airbrush. Erzähl mir nicht, dass du noch nie davon gehört hast.« Er hielt die Spritzpistole in die Höhe und ratterte lauter Fachausdrücke herunter: Luftkappe, Farbdüse, Rändelschraube. »Das Gerät hat ein Fließsystem. Man schraubt einen Becher an und füllt die Farbe ein. Du kannst das Ding beim Sprühen auch ankippen. Ansonsten hältst du einfach drauf.« Er führte mir vor, wie man den Farbbehälter anbrachte, die Farbmenge regulierte und die Düse einstellte. Zum Schluss sagte er: »Du bist doch’n echter Künstler, oder? Du kriegst das schon hin.«
    Ich betrachtete das Gerät zweifelnd. »Hat Karl gesagt, was ich malen soll?«
    »Da hat er sich noch keine Gedanken gemacht, glaubeich. Vielleicht Flammen, das kommt immer gut.« Als er lachte, roch ich seinen nach Qualm und schlechten Zähnen miefenden Atem. »Und wenn’s ihm nicht gefallen sollte, kannst du jetzt ja jederzeit wiederkommen, stimmt’s?«
    + + +
    Damit ließ er mich allein.
    Einen Augenblick lang stand ich einfach nur da und betrachtete die Spritzpistole und die Farben. Vielleicht hatte Dekkers Vater ja recht: Ich hatte wirklich ein Talent für so was, ich wusste rein theoretisch, wie Airbrush ging, und so schwer konnte es auch wieder nicht sein. Aber die Spritzpistole hatte so etwas Seelenloses. Sie kam mir eher wie eine Waffe vor, nicht wie das Handwerkszeug eines Künstlers.
    Ich sah mich um. Beobachtete der alte Dekker mich? Nein, er war weg. Der Unterstand lag ein ganzes Stück hinter der Werkstatt, und Mr Dekker vertraute anscheinend darauf, dass ich tun würde, was er mir gesagt hatte.
    Ich zog Mr Witeks Pinsel aus der Hosentasche. Ich hatte sie mitgenommen. Wozu? Keine Ahnung. Als ich vorhin aus meinem Zimmer gehen wollte, hatte ich schnell noch das Pinselfutteral aus der Schublade geholt. Dort bewahrte ich es seit der Nacht auf, in der die Tür wieder an meiner Wand erschienen war. Ich hatte einfach das Gefühl gehabt, dass ich die Pinsel einstecken sollte. Jetzt war mir auch klar, warum.
    Die Pinseltasche fühlte sich vertraut und richtig an, als ich sie so in der Hand hielt. Gleichzeitig spürte ich ein sonderbares Kribbeln, von dem sich mir die Härchen auf den Armen aufstellten.
    Was sollte ich bloß malen? Leg einfach los. Denk an Dekker und mal drauflos … Ich wählte einen Pinsel der Stärke 2, denn ich wollte die Umrisse erst mit Weiß skizzieren. Danach wollte ich das Motiv mit Gelb unterlegen, damit die Farben richtig rausknallten. Und ich wollte viel Rot verwenden, Blutrot, denn Dekker hatte für mich mit Blut und Gewalt zu tun, mit Dunkelheit und Alpträumen und

Weitere Kostenlose Bücher