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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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    Es riecht nach Heu und Pferden. Es ist dunkel draußen und so kalt, dass keine Grillen mehr zirpen. Ob die Grillen die Wölfe im Dunkeln sehen können? Ich sehe sie jedenfalls. Aber sie mich nicht, weil ich oben auf dem Heuboden hocke. Keiner weiß, dass ich hier bin, nicht mal Papa, denn keiner kennt alle meine Verstecke. Und ich habe sie kommen sehen, mit funkelnden Augen und brummenden Motoren. Am Fuß des Hügels leuchtet das einsame gelbe Viereck von Mamas und Papas Zimmer im ersten Stock. Ob Mama wohl gerade Marta tröstet und darauf wartet, dass Papa wiederkommt? Mama hat nicht mitgekriegt, dass ich aus dem Fenster geklettert, am Spalier runtergerutscht und zur Scheune gelaufen bin.
    Jetzt spähe ich durch die Lücken zwischen den Bodenbrettern. Da unten sind Mr Eisenmann, ein anderer Mann und Papa. Papa brüllt und fuchtelt Mr Eisenmann mit der Faust vor der Nase herum. Der andere Mann redet auf Papa ein. Er will ihn beruhigen. Er hält ihn am Arm fest: »Lass gut sein, Mordechai, leg dich nicht mit ihm an, das nimmt ein böses Ende!«
    Papa flucht und seine Stimme klingt ganz verändert, wie immer, wenn er richtig doll wütend ist. Sein Gesicht kann ich von hier oben nicht sehen, nur den Körper von den Schultern abwärts. Aber er steht breitbeinig da und ballt die Fäuste. Als der andere Mann ihn festhalten will, schubst Papa ihn weg. Ich höre einen Schrei, und es kracht, als der Mann gegen eine Box fliegt. Das Pferd schnaubt, wiehert erschrocken und tritt gegen die Bretter.
    »Hör auf, Witek, du machst ja die Gäule verrückt.« Das ist Mr Eisenmann. Es klingt wie ein Befehl. »Es ist nun mal passiert. Was das Finanzielle betrifft …«
    »Geld?«, bricht es aus Papa heraus. »Hier geht es nicht um Geld! Sie sind schuld an dem Ganzen! Ich habe Sie gewarnt, aber Sie wollten ja nicht auf mich hören, und jetzt …«
    » Sie ist auch nicht ganz unschuldig daran.« Mr Eisenmanns Ton ist kälter als Eis. »Es hat sie schließlich keiner gezwungen. Ich sag’s ungern so drastisch, aber sie hat freiwillig die Röcke gehoben. Ich würde behaupten, ihre Eltern sind daran schuld, weil sie ihre Tochter nicht strenger erzogen haben. Meinst du nicht?«
    Papa ist erst mal still. Seine Fäuste öffnen sich, und ich denke: Nein, Papa, nicht, gib nicht auf, lass dich nicht unterkriegen.
    Als Papa endlich wieder etwas sagt, klingt er heiser: »Wie viel?«
    »Ein jährlicher Unterhalt, für sie selbst und für das … eine Unterhaltszahlung eben. Das ist sehr großzügig, wenn man bedenkt, dass ich dazu nicht im Mindesten verpflichtet bin.«
    Das hätte er nicht sagen sollen. »Das haben Sie bestimmtschon alles geklärt – typisch! Sie halten sich für allmächtig. Sie glauben, Ihnen kann nichts passieren. Aber warten Sie’s ab, warten Sie’s nur …« Papa bleibt die Stimme weg, und er weint. Sein Weinen geht mir durch und durch; ich halte es kaum aus. »Immer müssen wir Juden den Preis zahlen, immer …«
    »Jetzt übertreib mal nicht, Mordechai. Ich habe dir Arbeit und ein Dach über dem Kopf verschafft. Kann ich etwas dafür, dass man mich ausgenutzt hat?« Mr Eisenmann klingt fast ein bisschen gelangweilt. »Deine Familie ist nicht die erste und auch nicht die letzte, die von so etwas betroffen ist. Sei lieber froh, dass ich die Mittel habe, dir zu helfen.«
    »Sie wollen doch bloß einen Skandal verhindern!«
    »Du etwa nicht?«
    Papa schweigt.
    »Na bitte. Eine kluge Entscheidung. Du musst schließlich auch an deinen Sohn denken. Und an deine Frau.«
    Ich höre Papa an, dass er sich mächtig beherrscht. »Ich bin nicht Ihr Eigentum!«
    »Oh doch! Du verdankst mir alles: deine Stellung, deine Arbeit, dein ganzes Leben! Ich habe dich damals aus dieser schäbigen Absteige in Milwaukee zwischen Ratten und Kakerlaken erlöst. Ich habe Anderson überredet, dir das Bauernhaus für einen Appel und ein Ei zu vermieten, damit du nach Herzenslust malen kannst. Ich habe dich aus der Gosse geholt, und ich kann dich auch wieder hineinstoßen. Erzähl du mir gefälligst nicht, was ich zu tun und zu lassen habe! Ich sage dir , wo’s lang geht, verstanden?«
    Stille. »Verstanden.«
    »Na also. Dann sei doch so gut und teile deinen Freundenvon der Gewerkschaft mein allerletztes Angebot mit. Und danke deinem Gott, dass ich euch nicht allesamt ins Kittchen werfen lasse. Ich kann mir meine Arbeitskräfte auch woanders beschaffen, das ist überhaupt kein Problem.«
    »Das könnte Ihnen so passen! Ihr seid doch alle

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