Der Zeichner der Finsternis
gleich, ihr Deutschen«, sagt Papa bitter.
»Ihr Juden vielleicht nicht? Das ist doch nur natürlich, dass man sich um seinesgleichen kümmert. Du hast es gerade nötig, mir Moralpredigten zu halten.«
»Wir Juden sind wenigstens keine Mörder.«
»Nein, bloß Diebe«, erwiderte Mr Eisenmann leichthin. »Diebe und Betrüger.«
»Wie bitte?«
»Du hast mich sehr wohl verstanden. Oder brauchst du ein Wörterbuch? Soll ich’s dir vielleicht aufmalen? Aber nein, der Maler bist ja du … wenn du nicht gerade damit beschäftigt bist, fremdes Eigentum zu vögeln!«
Mir bricht der Schweiß aus. Ich hab nichts verraten, Papa, ehrlich nicht!
Eisenmann lacht hämisch. »Wie der Vater, so die Tochter, was? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wie es so schön heißt.«
»Ich …« Papa klingt, als ob er an seinen eigenen Worten erstickt. »… Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Also wirklich! Hältst du mich für blöd? Glaubst du, ich wüsste nicht längst Bescheid? Ich spreche von dir und Catherine! Ich spreche von meinem Angestellten und meiner reizenden Zukünftigen!«
Ach, Papa, Papa … Unter mir ist es wieder still. Das Herz schlägt mir bis zum Hals. Geh weg, Papa, geh weg vondiesen Leuten, geh weg, lass die Wölfe machen, was sie wollen …
Der andere Mann sagt: »Das muss ich mir nicht anhören.«
»Du bleibst hier, Walter!«, sagt Mr Eisenmann. »Ich brauche einen Zeugen, falls Mr Witek auf die Idee kommen sollte, seine Probleme mit Gewalt zu lösen.«
Schließlich sagt Papa: »Es ist nichts vorgefallen.«
Mr Eisenmann lacht böse. »Ach nein? Da habe ich aber etwas anderes gehört.«
»Sie können gar nichts gehört haben. Und wenn doch, dann war es gelogen.«
»Also eins kann ich dir versichern: Catherine ist wahrhaftig kein Engel, aber sie belügt mich nicht. Sie hat mir sogar erzählt, dass dein Kleiner euch beide beobachtet hat. Das fand sie übrigens aufregend. Nachdem sie mir von ihrer Eskapade erzählt hatte, ist sie richtig über mich hergefallen. Wie geht’s eigentlich deinem Kleinen? Hoffentlich hat er nicht den Schreck seines Lebens gekriegt, als er seinen Papa in dieser verfänglichen Situation ertappt hat.«
Papa schweigt. Mein Gesicht wird heiß.
»Hat’s dir die Sprache verschlagen, Mordechai? Jetzt mach nicht so ein Gesicht. Sie war doch ganz wild drauf, dass du zu ihr nach Hause kommst, das ist mir natürlich nicht entgangen. Mir entgeht nie etwas. Du warst mein kleines Geschenk an sie – schließlich bezahle ich das Porträt. Catherine ist wie eine läufige Katze. Sie hatte Lust auf einen Künstler, und ich habe ihr einen verschafft. Aber freu dich nicht zu früh, Mordechai. Catherine ist ein verwöhntes reiches Mädchen und hat ihr neues Spielzeug rasch satt. Noch findet sie dich spannend. Aber wenn sie dich irgendwann überhat, wirft siedich weg. Ich tue dir einen großen Gefallen, wenn ich dich davor warne.
Du warst schon seit dem Bild mit dem Sonnenuntergang scharf auf sie, stimmt’s? Was bist du doch für ein braver Ehemann, ein Mann mit Grundsätzen … Kein Wunder, dass du sofort zugegriffen hast, als ich dir einen Arbeitsplatz in Winter angeboten habe. Du wolltest dringend aus Milwaukee weg, gib’s zu! Was mag in dir vorgegangen sein, als sie hier auftauchte und du hören musstest, dass sie verlobt ist? Wenn hier jemand der Geschädigte ist, dann ja wohl ich!«
Papa findet die Sprache wieder. »Sie haben doch keine Ahnung, was für ein Leben meine Familie und ich führen! Verglichen mit Ihnen sind wir arme Leute. Wir sind Juden, und jetzt hat meine Tochter auch noch …«
»Jetzt hat deine Tochter bewiesen, dass auch Jüdinnen nicht unfehlbar sind. Auch in Bezug auf ihre … missliche Lage verhalte ich mich äußerst großzügig, und das weißt du auch. Sei froh, dass du überhaupt noch in Lohn und Brot bist.« Mr Eisenmanns Ton wird schärfer. »Damit wäre ja wohl alles geklärt. Wenn du jetzt bitte den Wagen holen würdest, Brotz …«
»Warten Sie!«, ruft Papa. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, dass die Sache damit aus der Welt ist! Das sind Nazis ! Sie haben mein Volk umgebracht, meine Eltern …!«
»Ich lasse mir von dir nichts vorschreiben. Ob und wann ich jemanden zur Rechenschaft ziehe, ist meine Sache, nicht deine, und … Lass los … Mordechai! Ich warne …«
Ein Schrei, dumpfe Schläge, noch mehr Gepolter. Die Pferde schnauben und schlagen aus, dann ruft der andereMann, dieser Walter: »Hör auf, Mordechai, lass ihn los, du bringst ihn ja
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