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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Wunschdenken und Leichtgläubigkeit.«
    »Gibst du die Rationalität nie auf?«
    »Bisher ist mir das noch nicht passiert.«
    »Warum?«
    »Weil… Nun, wenn auf der Welt alle in Panik geraten, wird immer jemand gebraucht, der den Urin aus dem Schuh schüttet.«
    Die Uhr tickte. Das Pendel schwang. Aber die Zeiger bewegten sich nicht.
    »Interessant«, sagte Lobsang. »Folgst du zufällig dem Weg von Frau Kosmopilit?«
    »Ich kenne ihn nicht einmal«, antwortete Susanne.
    »Bist du inzwischen wieder zu Atem gekommen?«
    »Ja.«
    »Dann können wir uns umdrehen.«
    Die persönliche Zeit floss wieder, und eine Stimme fragte: »Gehört dies euch?«
    Gläserne Stufen führten hinter ihnen nach oben. Am oberen Ende der Treppe stand ein Mann, der wie ein Geschichtsmönch gekleidet war, einen kahlen Kopf hatte und Sandalen trug. Seine Augen verrieten viel mehr. Ein junger Mann, der seit langer Zeit lebte – so lautete Frau Oggs Beschreibung. Und das schien tatsächlich der Fall zu sein.
    Er hielt den zappelnden Rattentod an der Kapuze seiner schwarzen Kutte.
    »Äh, er gehört sich selbst«, erwiderte Susanne, als sich Lobsang verbeugte.
    »Dann nehmt ihn bitte mit. Ich möchte nicht, dass er hier herumläuft. Hallo, mein Sohn.«
    Lobsang trat die Treppe hinauf. Die beiden Gestalten umarmten sich kurz und förmlich.
    »Vater… «, sagte Lobsang und straffte die Schultern. »Das ist Susanne. Sie… war eine große Hilfe.«
    »Natürlich«, erwiderte der Mönch. Er sah Susanne an und lächelte. »Sie ist die Hilfsbereitschaft in Person.« Er setzte den Rattentod auf den Boden und gab ihm einen vorsichtigen Stoß.
    »Ja, ich bin sehr zuverlässig«, sagte Susanne.
    »Und interessanterweise auch sarkastisch«, meinte der Mönch. »Ich bin Wen. Danke, dass du gekommen bist und unserem Sohn geholfen hast, sich selbst zu finden.«
    Susanne blickte vom Vater zum Sohn. Die Worte und Bewegungen waren gestelzt und kühl, aber auf einer anderen Ebene lief eine Kommunikation, die sie ausklammerte und wesentlich schneller war als gewöhnliche Sprache.
    »Sollten wir nicht die Welt retten?«, fragte Susanne. »Ich möchte natürlich niemanden drängen…«
    »Zuerst gilt es noch etwas anderes zu erledigen«, sagte Lobsang. »Ich muss meiner Mutter begegnen.«
    »Haben wir genug Ze…«, begann Susanne und fügte hinzu: »Ja, wir haben genug Zeit. Alle Zeit der Welt.«
    »O nein«, widersprach Wen. »Wir haben noch viel mehr Zeit. Es gibt immer Zeit genug, die Welt zu retten.«
    Zeit erschien. Erneut entstand der Eindruck, dass eine vage, substanzlose Gestalt in der Luft zu Millionen von Flöckchen kondensierte, die einander entgegenstrebten, langsam und dann immer schneller, um einen Körper zu formen. Plötzlich stand dort jemand.
    Sie war eine große Frau, recht jung und dunkelhaarig, gekleidet in langes, rotschwarzes Haar. Gewisse Anzeichen in ihrem Gesicht verrieten, dass sie geweint hatte. Aber jetzt lächelte sie.
    Wen griff nach Susannes Arm und nahm sie behutsam beiseite.
    »Sie wollen miteinander reden«, sagte er. »Was hältst du von einem kleinen Spaziergang?«
    Der Raum verschwand. Susanne fand sich in einem Garten wieder, mit Pfauen, Springbrunnen und einer steinernen Sitzbank, auf der Moos ein dickes Polster bildete.
    Weite Rasenflächen neigten sich einem Waldland entgegen. Er erweckte den manikürten Eindruck eines Anwesens, auf dem nach Jahrhunderten hingebungsvoller Pflege nichts Unerwünschtes oder am falschen Platz wuchs. Vögel mit langen Schwänzen und bunt schillernden Gefiedern flogen von Wipfel zu Wipfel. Tiefer im Wald zwitscherten andere Vögel.
    Susanne beobachtete, wie sich ein Eisvogel am Rand eines Springbrunnens niederließ. Er sah kurz zu ihr und flog davon; seine Flügelschläge hörten sich an wie das Zuschnappen von Fächern.
    »Hör mal, ich…« Susanne suchte nach den richtigen Worten. »Ich bin… Äh, ich meine, ich bin nicht… Ich verstehe so etwas. Wirklich. Ich bin nicht dumm. Mein Großvater hat einen Garten, in dem alles schwarz ist. Aber, Lobsang hat die Uhr gebaut! Oder zumindest ein Teil von ihm. Er rettet also die Welt und zerstört sie gleichzeitig?«
    »Es liegt in der Familie«, sagte Wen. »Die Zeit macht das in jedem Augenblick.«
    Er sah Susanne wie ein Lehrer an, der es mit einem zwar lernwilligen, aber dummen Schüler zu tun hat.
    »Denk so«, sagte er schließlich. »Denk an alles. Es ist ein ganz gewöhnliches Wort. Aber ›alles‹ bedeutet… alles. Es ist ein viel

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