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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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größeres Wort als ›Universum‹. Und alles enthält alle möglichen Dinge, die zu allen möglichen Zeiten auf allen möglichen Welten passieren können. Such auf keiner von ihnen nach einer kompletten Lösung. Früher oder später verursacht alles alles andere.«
    »Willst du damit sagen, eine kleine Welt sei nicht weiter wichtig?«, fragte Susanne.
    Wen winkte, und zwei Weingläser erschienen auf dem Stein.
    »Alles ist genauso wichtig wie alles andere«, sagte er.
    Susanne verzog das Gesicht. »Deshalb habe ich Philosophen nie gemocht. Sie lassen alles grandios und einfach klingen, und dann tritt man hinaus in eine Welt voller Komplikationen. Sieh dich um. Ich wette, in diesem Garten muss man regelmäßig Unkraut jäten, und die Springbrunnen verstopfen gelegentlich, und die Pfauen verlieren Federn und graben Löcher in den Rasen… Und wenn so etwas nicht geschieht, ist dies eine Imitation.«
    »Oh, alles ist real«, sagte Wen. »Zumindest so real wie alles andere. Aber dies ist ein perfekter Moment.« Er lächelte erneut. »Gegen einen perfekten Moment kämpfen die Jahrhunderte vergeblich an.«
    »Mir ist eine bestimmtere Philosophie lieber«, sagte Susanne. Sie probierte den Wein. Er schmeckte köstlich.
    »Natürlich. Das habe ich von dir erwartet. Du klammerst dich so an Logik fest wie eine Napfschnecke an einen Stein. Mal sehen… Verteidige die kleinen Freiräume, laufe nie mit einer Schere und denke daran, dass es unerwartete Schokolade geben kann.« Wen lächelte noch immer. »Und widersetze dich nie einem perfekten Moment.«
    Eine Brise ließ den Springbrunnen über den Rand der Schalen plätschern, nur für eine Sekunde. Wen stand auf.
    »Ich glaube, Mutter und Sohn haben ihr Gespräch jetzt beendet«, sagte er.
    Der Garten löste sich auf. Die steinerne Sitzbank zerschmolz zu Dunst, kaum hatte sich Susanne erhoben, obwohl sie eben noch so fest wie… Stein gewesen war. Das Weinglas verschwand aus ihrer Hand. An den Fingern blieb eine Erinnerung an den Druck und im Mund der Geschmack des Weins zurück.
    Lobsang stand vor der Uhr. Zeit war nicht zu sehen, aber das Lied, das nun durch die Zimmer wehte, klang anders.
    »Sie ist glücklicher«, sagte Lobsang. »Und sie ist frei.«
    Susanne sah sich um. Wen war zusammen mit dem Garten verschwunden. Es gab nur noch endlose, gläserne Zimmer.
    »Möchtest du nicht mit deinem Vater reden?«, fragte sie.
    »Später«, erwiderte Lobsang. »Es gibt jede Menge Zeit. Dafür werde ich sorgen.«
    Seinen Worten haftete eine besondere Bedeutung an, die Susanne veranlasste, sich umzudrehen.
    »Du nimmst den Platz deiner Mutter ein?«, fragte sie. » Du bist jetzt die Zeit?«
    »Ja.«
    »Aber du bist größtenteils menschlich!«
    »Na und?« Lobsang lächelte wie sein Vater. Es war ein sanftes Lächeln, und für Susanne auch das ärgerliche Lächeln eines Gottes.
    »Was befindet sich in all diesen Zimmern?«, fragte sie. »Weißt du das?«
    »Ein perfekter Moment. In jedem einzelnen. Ein Zuhaufmal von Zuhaufmalen.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob es so etwas wie einen perfekten Moment gibt«, sagte Susanne. »Können wir jetzt heimkehren?«
    Lobsang wickelte sich den Saum seines Umhangs um die Faust und zerschlug die vordere Scheibe der Uhr. Scherben fielen zu Boden.
    »Wenn wir auf der anderen Seite sind…«, sagte er. »Bleib nicht stehen, um zurückzusehen. Es dürften ziemlich viele Glassplitter durch die Luft fliegen.«
    »Ich werde versuchen, hinter einer Bank in Deckung zu gehen«, erwiderte Susanne.
    »Wahrscheinlich gibt es dort gar keine Bänke.«
    QUIEK?
    Der Rattentod war an der Seite der Uhr emporgeklettert und blickte munter über den oberen Rand.
    »Was fangen wir mit ihm an?«, fragte Lobsang.
    »Er kommt allein zurecht«, sagte Susanne. »Ich kümmere mich nie um ihn.«
    Lobsang nickte. »Nimm meine Hand.«
    Susanne kam der Aufforderung nach.
    Mit der freien Hand griff Lobsang nach dem Pendel und hielt die Uhr an.
    Ein blaugrünes Loch öffnete sich in der Welt.
    Die Reise zurück ging wesentlich schneller, doch als die Welt wieder existierte, fiel Susanne ins Wasser. Es war braun und schlammig und stank nach toten Pflanzen. Sie tauchte auf, widersetzte sich dem Zerren des nassen Kleids und trat Wasser, während sie sich zu orientieren versuchte.
    In Susannes Erziehung war großer Wert auf die praktischen Aspekte gelegt worden, und das bedeutete unter anderem Schwimmunterricht. Das Internat für junge Damen in Quirm hatte in dieser Hinsicht recht

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