Der Zeitdieb
Uhr näherte sich der Fertigstellung. Sie sah nicht wie das gedrungene, kastenförmige Ding aus, von dem Igors Großvater erzählt
hatte. Jeremy hatte sich für ein beeindruckendes Erscheinungsbild
entschieden, was Igor überraschte, denn nichts im Haus diente allein der Zierde.
»Dein Großvater half dabei, die erste zu bauen«, hatte Jeremy gesagt.
»Also konstruieren wir eine Großvateruhr.« Und dort stand sie: eine
schmale Standuhr aus Kristall und gesponnenem Glas. Auf
beunruhigende Weise reflektierte sie das Licht.
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Igor hatte ein Vermögen in der Straße Schlauer Kunsthandwerker
ausgegeben. Mit genug Geld konnte man in Ankh-Morpork alles kaufen.
Er hatte dafür gesorgt, dass die Kristallschneider und Glaser jeweils nur wenige Teile herstellten – um ihnen keine Hinweise auf das geplante
Endprodukt zu geben. Aber eigentlich hätte sich Igor diese Mühe sparen können. Mit Geld konnte man viel Desinteresse kaufen. Und wer hielt es schon für möglich, dass sich die Zeit mit Hilfe von Kristallen messen ließ? Erst in der Werkstatt fanden die einzelnen Teile zusammen.
Igor eilte geschäftig hin und her, putzte und lauschte aufmerksam, als Jeremy sein Werk präsentierte.
»… sind überhaupt keine Metallteile nötig«, sagte er. »Wir haben eine Möglichkeit gefunden, den gezähmten Blitz über Glas fließen zu lassen, und jemand konnte Glas herstellen, das sich ein wenig biegt…«
Er sprach von »wir«, bemerkte Igor. So war es immer. »Wir haben
Dinge entdeckt« bedeutete: Der Herr fragte danach, und Igor ließ sie sich einfallen. Wie dem auch sei… Der Umgang mit gezähmten Blitzen
war eine Familientradition. Mit Sand, Chemikalien und einigen
Geheimnissen konnte man bewirken, dass sich Blitze setzten und
Männchen machten.
Lady LeJean streckte eine behandschuhte Hand aus und berührte die
Seite der Uhr.
»Dies ist der Trennmechanismus«, erklärte Jeremy und nahm eine
kristallene Vorrichtung von der Werkbank.
Ihre Ladyschaft betrachtete noch immer die Uhr. »Du hast ihr ein
Zifferblatt und Zeiger gegeben«, stellte sie fest. »Warum?«
»Oh, sie wird auch bei der Messung der traditionellen Zeit gut
funktionieren«, sagte Jeremy. »Natürlich mit Hilfe von gläsernen
Zahnrädern. Rein theoretisch braucht sie nie gestellt zu werden. Sie nimmt ihre Zeit vom Ticken des Universums.«
»Ah. Du hast es also gefunden?«
»Die Zeit, die für das kleinste mögliche Ereignis nötig ist, um sich zu ereignen. Ich weiß, dass sie existiert.«
Lady LeJean wirkte fast beeindruckt. »Aber die Uhr ist noch nicht
fertig.«
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»Manches müssen wir noch ausprobieren«, erwiderte Jeremy. »Aber
dabei sollten sich eigentlich keine Probleme ergeben. Igor meint, am Montag wird es ein schweres Gewitter geben. Das sollte uns die
benötigte Energie liefern. Und dann…« Ein Lächeln erhellte Jeremys
Gesicht. »Ich sehe keinen Grund, warum nicht alle Uhren auf der Welt exakt die gleiche Zeit anzeigen sollten!«
Lady LeJean sah zu Igor, der sich daraufhin noch geschäftiger gab.
»Bist du mit seinen Diensten zufrieden?«
»Oh, er murrt gelegentlich, aber er hat ein gutes Herz. Und vermutlich auch noch ein zweites. Und er ist sehr geschickt, was gewisse Dinge
betrifft.«
»Ja, das gilt für alle Igors«, entgegnete die Lady geistesabwesend.
»Offenbar beherrschen sie die Kunst, Talente zu vererben.« Sie
schnippte mit den Fingern, woraufhin einer der beiden Trolle vortrat und zwei Beutel hervorholte.
»Gold und Invar«, sagte Lady LeJean. »Wie versprochen.«
»Ha, das Invar ist wertlos, wenn wir die Uhr fertig gestellt haben«, sagte Jeremy.
»Wir bitten um Verzeihung! Möchtest du mehr Gold?«
»Nein, nein! Du bist sehr großzügig.«
Und ob, dachte Igor, während er eifrig Staub von der Werkbank wischte.
»Dann bis zum nächsten Mal«, sagte Lady LeJean. Die Trolle wandten
sich bereits der Tür zu.
»Kommst du, um zu sehen, wie wir die Uhr in Betrieb nehmen?«,
fragte Jeremy, als Igor durch den Flur hastete, um die Haustür zu öffnen.
Was auch immer er von Ihrer Ladyschaft hielt – es galt, eine Tradition zu wahren.
»Vielleicht. Aber wir setzen großes Vertrauen in dich, Jeremy.«
»Äh…«
Igor versteifte sich. Einen solchen Ton hatte er nie zuvor in Jeremys Stimme gehört. In der Stimme eines Herrn war es ein schlimmer Ton.
Jeremy holte tief und nervös Luft, als dächte er über ein winziges und 155
besonders schwieriges Uhrwerksteil nach, das eine
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