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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Katastrophe
    heraufbeschwören und Zahnräder auf dem Boden verteilen konnte,
    wenn man es nicht mit äußerster Vorsicht behandelte.
    »Ähm… ich habe mich, äh, gefragt, ob ich Ihre Ladyschaft, äh…
    vielleicht für heute Abend zum, ähm, Essen einladen könnte, äh…«
    Jeremy lächelte. Igor hatte Leichen besser lächeln sehen.
    Lady LeJeans Miene flackerte. Sie flackerte tatsächlich. Ihr
    Gesichtsausdruck veränderte sich in rasch aufeinander folgenden
    Einzelbildern, zwischen denen keine erkennbare Bewegung stattfand.
    Die übliche Leere wich Nachdenklichkeit und dann Verblüffung. Zu
    Igors Erstaunen röteten sich ihre Wangen.
    »Nun, Herr Jeremy, ich… ich weiß nicht, was ich sagen soll«,
    stammelte Ihre Ladyschaft. Ihre eisige Beherrschung schmolz zu einer warmen Pfütze. »Ich… ich weiß es wirklich nicht… Vielleicht ein
    anderes Mal? Ich habe noch eine wichtige Verabredung, freut mich, dich kennen gelernt zu haben, ich muss jetzt leider gehen. Auf Wiedersehen.«
    Igor nahm steif Haltung an und stand so aufrecht, wie es einem
    durchschnittlichen Igor möglich war. Er schloss fast die Tür hinter Ihrer Ladyschaft, als sie nach draußen eilte und die Stufen hinunterging.
    Auf der Straße schwebte sie ganz kurz einen Zentimeter über dem
    Boden. Aber nur für einen Moment – dann sank sie nach unten.
    Niemand außer Igor, der argwöhnisch durch den Türspalt spähte,
    konnte es bemerkt haben.
    Er hastete in die Werkstatt zurück. Jeremy stand dort wie angenagelt, und seine Wangen glühten ebenso rot wie zuvor die der Lady.
    »Ich gehe schnell lof und hole die fehlenden Glafteile, Herr«, sagte Igor. »Fie müfften jetzt fertig fein. In Ordnung?«
    Jeremy drehte sich abrupt um und ging sehr schnell zur Werkbank.
    »Ja, Igor, geh nur, danke«, sagte er, und seine Stimme klang ein wenig gedämpft.
    Lady LeJean und die beiden Trolle schritten weiter unten über die
    Straße, als Igor das Haus verließ und durch die Schatten huschte.
    An der Kreuzung winkte Ihre Ladyschaft vage, woraufhin die Trolle
    fortwankten. Igor behielt die Lady weiter im Auge. Trotz des
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    traditionellen Hinkens konnten Igors sehr schnell sein, wenn es darauf ankam. Das war oft nötig, wenn der Mob das Haus stürmte.*
    Hier draußen fielen ihm noch mehr Dinge auf, die nicht stimmten.
    Lady LeJean bewegte sich nicht ganz richtig. Sie schien ihren Körper zu kontrollieren, anstatt die Kontrolle ihm selbst zu überlassen, wie es Menschen taten. Selbst Zombies bekamen nach einer Weile den Dreh
    raus. Es war ein subtiler Unterschied, aber Igors hatten gute Augen. Die Lady bewegte sich wie jemand, der nicht daran gewöhnt war, Haut zu
    tragen.
    Ihre Ladyschaft ging eine schmale Straße hinab, und Igor wünschte
    sich fast, dass sich ein Mitglied der Diebesgilde in der Nähe aufhielt. Wie hätte die seltsame Frau wohl auf einen leichten Schlag gegen den Kopf reagiert? Auf diese Weise leiteten Diebe Verhandlungen ein. Am
    vergangenen Tag hatte es einer bei Igor versucht, und der Mann war
    vom metallenen Klang überrascht gewesen. Sein Erstaunen hatte einen
    recht schmerzlichen Aspekt dazu gewonnen, als er erleben musste, wie sein Arm gepackt und mit anatomischer Präzision gebrochen wurde.
    Die Frau betrat eine Gasse zwischen zwei Gebäuden.
    Igor zögerte. Sich im hellen Tageslicht vor dem Zugang einer dunklen Gasse zu zeigen – das war ein Punkt auf der lokalen Checkliste des
    Todes. Andererseits… Er stellte schließlich nichts Unrechtes an. Und Ihre Ladyschaft schien nicht bewaffnet zu sein.
    In der Gasse waren keine Geräusche von Schritten zu hören. Igor
    wartete einige Sekunden und schob dann den Kopf um die Ecke.
    Von Lady LeJean war nichts zu sehen. Und es gab keinen anderen Weg
    aus der Gasse – sie endete an einer hohen Mauer, vor der sich Abfälle angesammelt hatten.

    * Igors waren loyal, aber nicht dumm. Ein Job war ein Job. Wenn der Arbeitgeber die Dienste eines Igors nicht mehr brauchte, weil ihm zornige Dorfbewohner einen Pflock durchs Herz getrieben hatten, so machte sich der betreffende Igor rasch auf den Weg, bevor jemand auf den Gedanken kam, dass er den nächsten Pflock verdiente. Igors kannten einen geheimen Weg aus jedem Schloss, und immer stand eine gepackte Reisetasche bereit. Einer der ersten Igors hatte es folgendermaßen ausgedrückt: » Wir verdienen den Tod? Entschuldigung. Wo fteht etwaf von ›wir‹ geschrieben?«
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    Igor bemerkte einen verblassenden grauen Schemen in der Luft:

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