Der Zeitenherrscher
bestimmte Sache.“
Tom winkte ab. „Das hast du mir schon hundert Mal gesagt. Ich will dich ja auch nicht drängen. Aber …“
„Ja?“
„Kann ich dir vielleicht helfen?“
Über Simons Gesicht zog sich ein Lächeln. „Du meinst …“
„Die ganze Sache scheint dir sehr wichtig zu sein. Und du bist mir wichtig. Und da könnten wir uns doch zusammentun, oder?“
„Das wäre toll!“ Simon sah Tom dankbar an. Er musste Acht geben: Simon durfte nicht nur an seine Freunde aus der Vergangenheit denken, er durfte auch die Freunde der Gegenwart nicht vergessen.
Tom rückte sich auf seinem Stuhl zurecht. „Also, was kann ich tun?“
„Du kannst mich abfragen“, war die spontane Antwort. „Es gibt ein paar historische Ereignisse, über die ich genau Bescheid wissen muss. Und du kannst mir helfen, die Lücken zu füllen.“
„Kapiert. Womit fangen wir an?“
Schnell schob Simon seinem Freund eines der Lexika zu und setzte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Blick ging nach draußen, auf die Klippe am Meer, die wegen ihrer besonderen Form und dem roten Sand, den es nur in dieser Gegend gab, Rotkopf-Klippe genannt wurde. Tatsächlich konnte man mit nur etwas Fantasie ein Gesicht in den Klippen erkennen. Einen Mann, der hinaus auf das Meer schaute. Auf Simons Meer. Er war schon lange nicht mehr mit seinem Vater rudern gewesen. Alles, was ihm früher wichtig gewesen war, hatte er zurückgestellt. Denn es gab etwas Neues in seinem Leben. Etwas, das …
„Fangen wir auch mal an?“, erkundigte sich Tom mit einem spöttischen Lächeln.
Simon riss sich wieder zusammen und wandte den Blick von der Rotkopf-Klippe ab. „Ja, klar. Pass auf!“ Und dann begann er zu erzählen, was er sich nun schon seit langer Zeit so genau wie möglich einzuprägen versuchte.
Er begann mit der längst untergegangenen Stadt Ur, die 2500 vor Christus die erste Hochkultur der Menschheit darstellte. „Die Stadt lag in Mesopotamien, im heutigen Iran“, erklärte Simon seinem Freund, der sich mehr und mehr beeindruckt zeigtevon all dem Wissen, dass Simon sich angeeignet hatte. „Doch die Menschen wirkten von ihrem Äußeren her eher asiatisch.“
„Ist das wichtig?“, hakte Tom ein.
Und Simon nickte. Für ihn war das sehr wichtig. Denn in seinen Gedanken sah er sie wieder vor sich: Nin-Sis Augen. Und gleich daneben tauchte Neferti auf, die Ägypterin. Und Salomon, der Junge, der die erste große europäische Pestzeit erlebt hatte. Und natürlich Moon, der Lakota-Indianer. Simons Freunde der Vergangenheit.
Und seine Sehnsucht, sie alle wieder zu sehen, wuchs ins Unendliche.
Sein Zauber zeigte Wirkung.
Er konnte die Angst des Jungen spüren, nachts, wenn er sich in dessen Träume schlich und ihn auf das Wiedersehen vorbereitete.
Er konnte den Jungen schreien hören in der Nacht.
Er konnte dessen Flüstern vernehmen. Ja, selbst das Geräusch seiner Herzschläge drang bis zu dem Magier.
Seine Macht über den Jungen war größer geworden.
Und das würde er zu nutzen wissen.
Bald schon.
Bald …
Gerade hatte Simon seine Schultasche in die Ecke geworfen und war ins Wohnzimmer gekommen, als er erschrocken zusammenzuckte. Sein Vater saß am Esstisch und blickte seinen Sohn mit einem Gesichtsausdruck an, bei dem es Simon kalt den Rücken hinunterlief.
Es war kein grimmiger Blick. Simon erkannte eher Verunsicherung darin. Und obwohl ihn sein Vater nicht direkt finster ansah, lag dennoch etwas Unheimliches in dessen Augen. Etwas, das Simon nicht geheuer war.
„Ist was?“
Sein Vater winkte ihn zu sich heran. „Können wir reden?“
„Natürlich.“ Simon setzte sich ihm gegenüber an den Tisch.
„Es geht um diese Träume in der letzten Zeit“, eröffnete ihm sein Vater ohne Umschweife. Er sah Simon sehr konzentriert an. Etwas schien seinen Vater zu beschäftigen. Sehr sogar.
„Ja?“
„Was genau träumst du nachts?“
Simon überlegte, wie er seinem Vater die Bilder erklären könnte. „Es ist nichts Greifbares“, sagte er. „Sehr verschwommen und durcheinander. Eher wie …“
„Träumst du immer dasselbe?“, unterbrach ihn sein Vater auf einmal.
Simon nickte.
„Jede Nacht?“
Wieder nickte Simon.
Sein Vater beugte sich zu ihm vor. Er sah Simon so fest in die Augen, dass dem Jungen der Ernst der Situation sofort klar wurde. Und noch etwas wurde Simon bewusst: Er würde seinem Vater alles erzählen. Jetzt. Einen ähnlichen Moment wiediesen hatte Simon noch nie erlebt. Nicht einmal während der unzähligen Tage,
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