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Der Zeitenherrscher

Titel: Der Zeitenherrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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verursacht durch das Flackern der Flamme. Doch die ersten drei Linien bewegten sich eindeutig aufeinander zu. Sie fanden mit ihren unteren Enden zueinander und bildeten gemeinsam die Form eines Fächers. Die Striche wurden nun dicker undbreiter. Sie verformten sich. An den oberen Enden entstanden Spitzen, und plötzlich zuckte dieses Gebilde auf, die drei Striche bewegten sich wie die Finger einer Hand, und aus dem Fächer entstand augenblicklich eine Vogelkralle. Sie löste sich aus der Wand und griff nach Simon.
    Der Junge wich schnell zurück und hielt die Fackel vor sein Gesicht.
    Hinter der Kralle bildete sich ein Fleck auf der Wand. Erst nur so groß wie eine Hand, doch die schwarzen Umrisse wuchsen schnell an, bis sie die Form eines Vogels annahmen.
    Simon trat einen weiteren Schritt zurück. Er dachte daran, zu flüchten, doch etwas hielt ihn auf. Wie erstarrt blickte er zur Wand. Der Vogel löste sich aus dem Schatten. Als schwarze Krähe flatterte er mit den Flügeln. Die Krähe schrie auf und funkelte Simon an, bevor sie davonflog, in Richtung des Höhleneingangs.
    Simon rannte ihr nach, mit der Fackel in der Hand. Die Krähe verließ die Höhle und flog auf das offene Meer hinaus.
    Simon blieb stehen und sah ihr nach. Die Krähe schoss über das Meer auf ein Schiff zu, dessen Anblick Simon aufatmen ließ. Er lachte. Alle Anspannung fiel in diesem Moment von ihm ab.
    Auf dem Meer vor ihm lag der Seelensammler, das Schiff, auf dessen Ankunft Simon seit einem Jahr so sehnsüchtig gewartet hatte.
    Er ließ die Fackel fallen und rannte zum Höhleneingang. Schon sah er die bekannten Flammen auf den Mastspitzen und die zerfetzten Segel des Schiffes. Er schrie vor Freude auf: Dort vor ihm waren seine Freunde aus der Vergangenheit und erwarteten ihn.
    Er rannte, so schnell es ging, aus der Höhle heraus, als er jäh gestoppt wurde. Jemand hatte seinen Arm ergriffen und hinderte ihn daran, weiterzulaufen. Der Junge wurde herumgewirbelt, und aus den Augenwinkeln konnte er sehen, was seinen Lauf gestoppt hatte: eine klauenartige Hand mit weißen, spindeldürren Fingern daran.
    Mit einem lauten Schrei fuhr Simon herum, befreite sich mit einem Ruck aus dem Griff und stürzte zu Boden.
    Zusammengekrümmt lag er da, hielt die Hände schützend über den Kopf und wartete darauf, dass etwas geschah. Gleich würde er wieder ergriffen oder auf die Beine gezerrt werden.
    Doch nichts passierte.
    Langsam zog er die Hände zurück und öffnete vorsichtig die Augen. Er kauerte wieder auf dem Fußboden seines eigenen Zimmers, direkt neben seinem Bett, und tiefe Enttäuschung machte sich in ihm breit. Wieder nur ein Traum? Hatte er doch nicht das Schiff gesehen?
    Er zog sich am Bett hoch und stellte sich auf die Füße.
    „Autsch!“
    Sein linker Zeigefinger schmerzte. Er drehte die Hand und erschrak: Quer über die Fingerkuppe zog sich eine frische rote Brandverletzung. Die anderen Finger waren von Ruß geschwärzt.
    „Was …?“ Verblüfft sah er sich um, und erst jetzt bemerkte er den Lichtstrahl. Ein schwaches Licht nur, doch es zog sofort Simons ganze Aufmerksamkeit auf sich. In dem Jungen regte sich ein Hoffnungsschimmer. Er stürzte zum Fenster, und tatsächlich: Dort vor ihm auf dem Meer sah er den Seelensammler. Die Flammen auf den Mastspitzen reckten sich in den Himmel. Die Segel bäumten sich im Wind auf. Sogar die außergewöhnlicheBugfigur, der übergroße Krähenkopf, war von hier aus klar und deutlich zu sehen.
    Nein, dies war gewiss kein Traum!
    „Man erwacht nicht von einem Traum in den nächsten“, flüsterte Simon, während seine Hände bereits nach seinem T-Shirt suchten. Er zog sich hastig das Shirt über, schlüpfte in seine Jeans und in seine Schuhe. Endlich, der Moment war gekommen. Der Augenblick, auf den er seit einem Jahr gewartet hatte.
    Seine Freunde waren zurück!
    Am liebsten wäre er jubelnd die Treppe hinuntergesprungen, doch stattdessen schlich er mit angehaltenem Atem an dem Schlafzimmer seiner Eltern vorbei. Sie durften ihn nicht erwischen. Er hatte keine Zeit, sich auf Erklärungen einzulassen. Und das Gespräch mit seinem Vater, das er so gern noch geführt hätte, musste warten.
    Er musste los. Rauf auf das Schiff. Jetzt!
    Nachdem er die Haustür leise geschlossen hatte, war er nicht mehr zu halten. Wieder rannte er, so schnell er konnte. Doch dieses Mal flüchtete er nicht. Er lachte. Wie ein kleines Kind kam er sich vor, das sich auf dem Weg zur Großmutter befand, wohl wissend, dass

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